Person im Homeoffice

WIE VIEL HOMEOFFICE BRAUCHT DAS BÜRO, ODER WIE VIEL BÜRO BRAUCHT DAS HOMEOFFICE?

Seit nun beinahe zwei Jahren hat sich für viele das tägliche Büroleben radikal verändert. Von einem Tag auf den anderen sind viele Mitarbeitende ins Homeoffice geschickt worden, um dort an einem sicheren Ort mit geringerer Ansteckungsgefahr weiter ihrer Arbeit nachgehen zu können. Für einige ist damit ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen: Viele Firmen konnten es sich bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie nicht vorstellen, ihre Mitarbeitenden in dieser Dimension außerhalb der eigenen Büroräume arbeiten zu lassen. Nur 9,6 % der angestellten Arbeitnehmer:innen haben laut Statistischem Bundesamt 2019, also vor der Pandemie, regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. Zu häufig standen Befürchtungen im Weg, wie zum Beispiel, dass die Arbeit zu Hause nicht konsequent genug erledigt würde. Doch die aktuelle Entwicklung, oder besser gesagt die „neue Normalität“, zeichnet ein anderes, differenziertes Bild der Arbeitsqualität in den eigenen vier Wänden.

Neue Möglichkeiten – neue Herausforderungen

Mitarbeitende zeigen von zu Hause häufig ein sehr aktives und engagiertes Bild. Sie arbeiten meist früher und/oder länger als sie es im Büro tun würden. Trotz Unterbrechungen durch den häuslichen Alltag ist die Produktivität stabil. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2021 gaben 60 % der Betriebe mit Homeoffice-Angebot an, keine Veränderung der Produktivität festgestellt zu haben. 22 % sahen eine Erhöhung, 13 % eine Verringerung der Produktivität der Mitarbeitenden. Vor allem Aufgaben, die alleine und ohne große Abstimmung erledigt werden können, werden meist schneller bewältigt. Schwierig wird es jedoch, wenn eine Bearbeitung im Team stattfinden soll. Denn trotz zahlreicher virtueller Möglichkeiten können diese Meetings den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Das Fehlen des persönlichen und sozialen Austauschs bestimmt den größten bzw. wichtigsten Wunsch der Mitarbeitenden, wieder ins Büro gehen zu dürfen.

Das Fehlen des persönlichen und sozialen Austauschs bestimmt den größten bzw. wichtigsten Wunsch der Mitarbeitenden, wieder ins Büro gehen zu dürfen.

Stefanie Eisenbarth
Stefanie Eisenbarth
Head of Project Solutions

Die Erfahrung in den vergangenen Jahren hat gezeigt, dass virtuelle Meetings zwar eine hilfreiche Austauschplattform schaffen, doch der persönliche Kontakt mit dem Gegenüber bleibt auf der Strecke. War am Anfang der Pandemie innerhalb virtuellen Meetings noch Zeit für den alltäglichen Small Talk, so wurden die Meetings bald kürzer – konkrete Themen wurden besprochen, es sollte lieber keine Zeit mehr für Nebensächlichkeiten „verplempert“ werden. Vor allem Mitarbeitende, die während der Corona-Zeit in einem neuen Unternehmen begonnen haben, oder Auszubildende, die gerade darauf angewiesen sind, dass sie den Arbeitsalltag erleben und dadurch Erfahrung sammeln, hatten nur mit sehr viel Aufwand und Mühe die Chance, Informationen aufzunehmen und sich in die Unternehmenskultur einzufinden. Bei den Auszubildenden kamen darüber hinaus noch die häufig eingeschränkten Homeoffice-Möglichkeiten dazu: Nicht immer stehen Schreibtisch und adäquater Schreibtischstuhl zur Verfügung – vom separaten Büro ganz zu schweigen. So folgen auch Konsequenzen für Mitarbeitende aus mangelndem Arbeitsmaterial bzw. -mobiliar: Rückenprobleme bzw. Schäden am Bewegungsapparat waren gemäß der DAK Krankenstands-Analyse für 2020 für so viele Fehltage – 93 Fehltage je 100 Versicherte – verantwortlich wie seit Jahren nicht mehr.

Dabei wissen wir aus unserer Beratungstätigkeit: Es kann schon mit einfachen Mitteln das Homeoffice gesundheitsunterstützend und ergonomisch gestaltet werden. Zum Beispiel hilft eine Beleuchtung mit erhöhtem Blauanteil, sich besser konzentrieren zu können, ein höherer Gelbanteil schafft hingegen ein Umfeld für Erholung und Entspannung. Regale oder Raumteiler bieten eine zusätzliche Möglichkeit, Beruf und Freizeit auch sichtbar voneinander zu trennen. Weitere Lifehacks zeigen Ideen auf, wie zeitliche oder mentale Herausforderungen angegangen werden können. Auch wenn das Homeoffice in den meisten Fällen nicht die gleiche Qualität erreichen wird wie der Arbeitsplatz im Büro.

Das Büro als „Gleichmacher“

Während der vermehrten Homeoffice-Zeit stellten sich erfahrungsgemäß ebenfalls markante Unterschiede zwischen den Mitarbeitenden heraus. Das Büro schafft normalerweise eine einheitliche Grundlage: Egal ob Gut- oder Geringverdiener, introvertiert oder extrovertiert, das Büro stellt allen einen ergonomischen Arbeitsplatz zur Verfügung bzw. die Möglichkeit, an einem solchen Arbeitsplatz zu arbeiten und das in einem Umfeld, das in der Regel die Anforderungen nach Konzentration und Austausch erfüllt.

Wir können feststellen, dass das soziale Miteinander im Büro darüber hinaus ein soziales Rückhaltesystem schafft. Der tägliche Austausch und die Begegnungen im Büro lassen emotionale Unregelmäßigkeiten schneller auffallen: Depressionen oder depressive Verstimmung traten während der langandauernden Homeoffice-Phase weitaus häufiger auf als zuvor. Das Gefühl des Alleingelassenseins, alles selbst bewältigen zu müssen, und keine Balance mehr zwischen Freizeit und Beruf herstellen zu können, hat nicht wenige an ihre Grenzen kommen lassen.

Eine weitere negative Auswirkung der steten Homeoffice-Phase ist der Abbau der körperlichen Fitness. Nicht nur die fehlende Bewegung, etwa der Weg zur Haltestelle, um mit Bus oder Bahn zum Arbeitsort zu gelangen, fällt weg, auch regelmäßige Mahlzeiten, unter anderem mit Kolleg:innen, sind dem häufig einsamen Essen gewichen. Nicht jede/r Mitarbeitende schaffte es, durch die konsequente Aufrechterhaltung von Struktur, sich weiterhin sportlich zu betätigen sowie sich mit Bedacht gesund zu ernähren.

Andere Länder – andere Sitten

Der Umgang mit Homeoffice ist auf internationaler Länderebene sehr unterschiedlich. So gibt es beispielsweise in Portugal seit Januar 2022 das Recht auf Homeoffice, auch wenn die Arbeitgebenden dies nicht zulassen wollten. Es gelten zwar einige Grundkriterien für die Arbeitgebenden, doch die Flexibilität für Arbeitnehmer:innen ist damit gewährleistet. Hinzu kommt die Erstattung der Nebenkosten, Strom oder Internetgebühren sowie die Einsparung von Zeit und Benzinkosten für den Arbeitsweg. Darüber hinaus dürfen die Arbeitgebenden die Mitarbeitenden nach Feierabend nur im absoluten Notfall kontaktieren.

In Großbritannien hingegen wurde die Homeoffice-Pflicht Mitte Januar aufgehoben und die Arbeitnehmer:innen zurück ins Büro beordert. Zum Teil treten neue, teilweise aber auch alte Homeoffice-Vereinbarungen wieder in Kraft, sodass die Mitarbeitenden je nach Unternehmen zwei oder drei Tage pro Woche an ihren Arbeitsplätzen anwesend sein sollen. Laut YouGov-Umfrage bevorzugen mehr als die Hälfte der britischen Arbeitnehmenden diese Regelung. Andere Unternehmen setzen auf höchste Flexibilität und stellen es ihren Mitarbeitenden frei, von wo aus sie ihre Arbeiten erledigen. Grundsätzlich sind sich aber 70 % darüber einig, dass hybride Arbeitsweisen im Fokus stehen und die Rückkehr zur vorwiegenden Tätigkeit aus dem unternehmenseigenen Büroräumen wohl derzeit keine Option ist. Hier fehlen sicher auch noch langfristige Erfahrungen.

Die großen Unternehmen der IT-Branche in den USA geben häufig als Vorreiter die Leitplanken für andere Unternehmen vor. Apple beispielsweise startet ab Januar mit einer neuen „Work from home“-Politik, wonach die meisten Beschäftigten mindestens ein oder zwei Tage wieder im Büro arbeiten müssen, ab März 2022 mindestens drei Tage. Google setzt auf hybride Arbeitsformen und zeigt sich flexibel: Je nach Arbeitstätigkeit können Mitarbeitende ausschließlich von zu Hause arbeiten oder ein paar Tage die Woche im Büro. Laut eines Wall Street Journal-Artikels in 2021 schätzen die bei Google Beschäftigten das Arbeiten im Büro – nur wenige wollen ausschließlich im Homeoffice arbeiten. Facebook empfiehlt den Mitarbeitenden eine hybride Arbeitsweise und setzt gleichzeitig auf den persönlichen Austausch. Bürozeiten sollen demnach in den Arbeitsalltag integriert werden. Die Büros stehen zur Verfügung.

Der Wettbewerb um Arbeitskräfte ist im Silicon Valley immens, und es steht außer Frage, dass die Unternehmen ein möglichst attraktives Gesamtangebot machen möchten und müssen. In Deutschland spüren dies die Unternehmen ebenfalls immer mehr, und so ist es nicht verwunderlich, dass auch hierzulande der Konflikt zwischen Homeoffice-Wunsch und Offenheit der Unternehmen im Rahmen der neuen Gegebenheiten sichtbar wird.

Es bleibt dabei: Die Kombination macht den Unterschied

In vielerlei Hinsicht ist der Wunsch nach einer guten Mischung aus Büroalltag und Homeoffice nachvollziehbar. Sicherlich ist dabei das Arbeiten im Homeoffice ein fester Bestandteil für die Zukunft. Flexibilität ist ein extrem wichtiger Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist. Viele Unternehmen hatten bereits Homeoffice-Regelungen implementiert und diese im Zuge der aktuellen Entwicklungen weiter ausgebaut. Andere, die bisher etwas zurückhaltender agiert hatten, haben ebenfalls die Chance genutzt, die Büropräsenz flexibler zu gestalten.

Flexibilität ist ein extrem wichtiger Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist.

Stefanie Eisenbarth

Trotzdem haben noch circa die Hälfte der Unternehmen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung keine klare Vision, wie das neue Arbeitsmodell für ihre Mitarbeitenden idealerweise aussehen kann. In vielen Unternehmen fehlt zudem ein konkreter Plan, wie flexible Tage definiert werden können und welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um ein neues Arbeitsmodell umsetzbar zu machen. Hierzu zählen natürlich auch die technischen Grundlagen und wie diese genutzt und angewandt werden – die virtuelle Besprechung, die Buchungs-App für den Büro-Arbeitsplatz oder die Nutzung digitaler Whiteboards sind nur einige Beispiele unter vielen. Vor allem sind es immer noch die Mitarbeitenden, die diese neue Art des Arbeitsalltags mittragen und umsetzen müssen. Auch wenn nun seit vielen Monaten „anders“ gearbeitet wird, wird es häufig in den Köpfen von Mitarbeitenden und Führungskräften immer noch als Ausnahme angesehen.

Ob langfristig die gewonnene Flexibilität und ein hoher Anteil Tätigkeit im Homeoffice keine wirtschaftlichen Nachteile auslöst, wie sinkende Effizienz und Produktivität sowie steigende Kosten, bleibt abzuwarten. Eine gesunde Mischung aus Büro und Homeoffice kann allerdings sowohl Stress als auch Langeweile in den eigenen vier Wänden oder im Büro entgegenwirken. Ein Plus für alle Seiten.

Stefanie Eisenbarth
Head of Project Solutions
Meine Aufgabe liegt in der Erarbeitung von unternehmensspezifischen Arbeitsplatzkonzepten, die ganzheitlich gedacht sind und die Bereiche Kultur, Raum, Services und Technologie berücksichtigen. Mit meinem Project-Solutions-Team unterstützen wir unsere Kunden in ganz Deutschland von der Strategieentwicklung über die Bedarfsanalyse hinzu Design, Planung und Umsetzung. Dabei liegt mein Fokus auf dem Thema Change Management, das die Begleitung der Mitarbeitenden im Veränderungsprozess in den Mittelpunkt stellt.
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