Last Mile Logistik

LAST-MILE-LOGISTIK – DIE VIEL BENÖTIGTE, ABER NICHT VORHANDENE ASSETKLASSE?

Die letzten Meter, bis die Kund:innen ihr Paket in den Händen halten, sind meist die aufwendigsten und teuersten der gesamten Supply Chain. Mischnutzung und Mikrodepots könnten dabei helfen, die Last Mile-Logistik zu vereinfachen. Warum gibt es also noch so wenige Beispiele für diese so viel benötigte Assetklasse?

Der Liefer-Boom auf deutschen Straßen

Auf Deutschlands Straßen sind sie gerade immer häufiger zu sehen: Lieferfahrzeuge, die zu jeder Zeit Pakete ausfahren, Lebensmittel oder Wasserkästen liefern oder Essen bringen. Zustellfahrzeuge machen bis zu 30 Prozent des Verkehrs innerhalb der Städte aus und sorgen dabei für rund 80 Prozent der Staus. Das hat neben einem erhöhten Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß auch Verspätungen, Lärm und Stress zur Folge. „Dass die Lieferanten ihre Kund:innen eher selten zu Hause antreffen, erhöht das Verkehrsaufkommen noch zusätzlich“, erklärt Oliver Wissel, Director European Logistics & Industrial Advisory.

Die erfolglosen Zustellversuche und die dadurch entstehenden Kosten machen die Last Mile seit Jahren zu einem Dauerthema. Vor allem, da die letzte Meile bis zu 50 Prozent der gesamten Kosten der Supply Chain verursachen kann.

Corona als Katalysator für die urbane Logistik

In „gewöhnlichen Zeiten“ wäre die Lösung, vermehrt den stationären Handel zu nutzen statt alles Mögliche online zu ordern. Doch spätestens die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass viel häufiger online bestellt wird. Viele, die zuvor nie Lebensmittel oder Kleidung im Internet gekauft hatten, erkannten die Vorteile und den Komfort einer Online-Bestellung. „Auch nach der Pandemie hat sich der E-Commerce-Trend fortgesetzt, auch wenn er zurzeit durch Inflation und Zinswende einen kleinen Dämpfer erhalten hat“, sagt Wissel und führt weiter aus: „Das Konsumverhalten hat sich stark gewandelt, und auch die Anforderungen an die Kundschaft sind gestiegen“. Man denke beispielsweise an die Phänomene kostenloser (Rück-)Versand oder Same Day Delivery. Vielen Kund:innen reicht der Komfort, den eine Online-Bestellung mit sich bringt, nicht mehr aus. Sie wollen ihre Ware schnell zu Hause haben. Doch die Lager der Händler befinden sich meist außerhalb der Stadt. Der Transportweg wird durch volle Straßen und stockenden Verkehr in Innenstädten immer länger. Um die Zustellung also zu vereinfachen, werden Logistikflächen innerhalb der Stadt benötigt.

💡 Die Letzte Meile beschreibt den schlussendlichen Transport zur Haustür der Kund:innen. Es sind also die letzten Meter, bis die Kund:innen ihre bestellte Sendung in den Händen halten. Von der First Mile spricht man dementsprechend, wenn die Ware die erste Etappe der Reise, die im Lieferkettenprozess des einzelnen Unternehmens vorgesehen ist, antritt. Die mittlere Meile (Middle Mile) beschreibt den Transport von Waren von einem Distributionszentrum zu stationären Einrichtungen, wo Kund:innen sie kaufen können.

Die letzte Meile – mehrere Lösungen führen zum Ziel

„Es gibt aber auch einen anderen Weg, den Verkehr zu entlasten“, erklärt Wissel. „Die Ware muss nicht unbedingt zur Kundschaft geliefert werden, auch der/die Kund:in kann nach einer Online-Bestellung zur Ware kommen.“ Gemeint sind damit beispielsweise Packstationen, die zentral aufgestellt werden, damit Kund:innen Pakete gleich beim Einkaufen oder Tanken mitnehmen können. Oder auch Omnichannel-Angebote wie etwa das von REWE: Man kann Lebensmittel und Produkte für den Haushalt online bestellen, die Händler packen diese ein und die fertigen Einkaufstaschen oder -kisten können anschließend im Markt abgeholt werden.

„Ein Ziel wäre meiner Meinung nach auch, dass Logistik- und KEP-Unternehmen ihre Mitarbeitenden-, Fahrzeug- und Depot-Kapazitäten miteinander teilen und somit ein gemeinsames Netzwerk bilden. Damit könnten Waren an gemeinschaftlich betriebene Lager geliefert und bearbeitet werden, um dann gebündelt von dort aus mit voll ausgelasteten Fahrzeugen in die Stadt zu fahren – am besten zu gemeinschaftlich betriebenen Packstationen oder Pickup-Stores“, bringt es der Logistik-Experte auf den Punkt.

Die Last-Mile-Logistikimmobilie ist bis jetzt nur ein Konzept, das kaum umgesetzt wurde.

Oliver Wissel
Oliver Wissel
Director European Logistics & Industrial Advisory

Dennoch wird die urbane Logistik immer relevanter. Das Problem ist, dass es die viel ersehnte Assetklasse Last Mile-Logistik in der Realität bisher kaum bis gar nicht gibt. Oliver Wissel erklärt hierzu: „Der Markt ist aus immobilienwirtschaftlicher Sicht für diesen Wandel hin zu urbanen Logistikhubs noch nicht bereit. Auch Dienstleistungs- und Logistikunternehmen müssen noch Strategien erarbeiten, um die erhöhte Nachfrage zu bedienen und die Waren in die Stadt zu bringen. Hinzu kommt, dass es zurzeit wenig passende innerstädtische Grundstücke oder Projektentwicklungen gibt.“

Außerdem ist es auch bis jetzt noch eine Frage des Preises. Innerstädtische Objekte und Flächen sind teuer, Einzelhändler sind bereit, deutlich höhere Mieten zu zahlen als Logistiker. Oft ist auch die Gesetzgebung ein Teil des Problems. Innerstädtisch darf wegen des Lärms und Verkehrs eine Logistikimmobilie nicht dort entstehen, wo sie gebraucht wird. Außerdem herrscht in Innenstädten auch ein Nutzungs- und Interessenkonflikt, den die Logistik bis jetzt gegenüber Büro- oder Wohnimmobilien fast immer verloren hat. „Das muss und wird sich ändern“, erklärt Wissel zuversichtlich. Einige Beispiele für innerstädtische Logistik finden sich dennoch bereits in Deutschland:

7 Beispiele für Last Mile-Lösungen

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Dark Stores

Dark Stores sind in A-Städten in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dabei handelt es sich um ungenutzte und leerstehende Shops oder Restaurants im Erdgeschoss, die als Warenlager für Q-Commerce-Anbieter – Lieferdienste wie Gorillas, Uber oder Flink – genutzt werden. Ein dichtes innerstädtisches Netz dieser Lagerräume ist erforderlich, um das Versprechen einer zehnminütigen Lieferung zu erfüllen. Doch Dark Stores stehen auch in der Kritik: Einwohner:innen beschweren sich mitunter über Lärm, und rechtliche Fragen sowie städtebauliche Auflagen sind vielfach nicht geklärt. So wurden in Amsterdam und Rotterdam die Eröffnung neuer Dark Stores 2022 bereits verboten. „Zudem kommt es beim Q-Commerce mittlerweile zur Konsolidierung und zum Ende der Expansionsstrategie“, erklärt Wissel. So kaufte beispielsweise Getir aus der Türkei den Berliner Lieferdienst Gorillas. Das ein oder andere Q-Commerce-Unternehmen hat seine Expansion sogar eingestellt oder den deutschen Markt komplett verlassen, wie etwa der norwegische Anbieter Oda. Wissels Fazit zum Q-Commerce: „E- und Q-Commerce haben, wie der gesamte Konsum, aufgrund der hohen Kosten einen Dämpfer erhalten. Für viele ist und bleibt es immer noch ein Luxus.“

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Mikrodepots – der DPD Store in Berlin

DPD hat seinen ersten Store in Berlin-Friedrichshain eröffnet und zeigt eine weitere Möglichkeit auf, die letzte Meile zu optimieren. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus DPD-Pickup-Paketshop und Mikrodepot. So können Kund:innen die bestellte Ware in Umkleidekabinen mit großen Spiegeln anprobieren und gegebenenfalls die georderten Waren gleich vor Ort als Retoure in Auftrag geben. Im hinteren Bereich des Stores sind E-Lastenräder, die am Standort geladen und mit Paketen bestückt werden, sodass bis zu 300 Pakete an Kund:innen in der Nähe zugestellt werden können. „Mit dem Mikrodepot- und Lastenrad-Modell lässt sich eine ganze Menge Lkw-Verkehr von der Straße holen. Doch das Problem ist die Verfügbarkeit von Flächen. Logistik verbinden die meisten mit Lkw-Lärm, sodass Vermieter oft abwinken.“, erklärt Oliver Wissel. Ein weiteres Problem ist zudem die Umwidmung von Immobilien, um Mischnutzungen von etwa Einzelhandel und Paket-Stores genehmigen zu können.

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Micro-Hubs in Parkhäusern

UPS kooperiert mit dem Parkhausbetreiber APCOA. So werden in Hamburg und Köln Flächen in Parkhäusern des Betreibers dazu genutzt, Pakete von großen Lkw-Containern auf Lastenräder umzuladen und sie damit zur Kundschaft zu bringen. Auch ein Textildienstleister hat das Parkhaus als Umschlagfläche entdeckt und nutzt einen Teil des Parkhauses unter der Mall of Berlin als Zwischenlager. Vom Depot aus wird die Berufskleidung zur Kundschaft ausgeliefert. Die zu waschende Kleidung bringen Mitarbeitende zurück ins Lager, von dort transportiert sie der Lkw am späten Abend zurück in die Wäscherei.

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City Docks

City Dock by Panattoni“ ist ein weiteres Beispiel für Last Mile-Logistik. Dabei handelt es sich um kleinteilige Gewerbe- und Logistikflächen in stadtnaher oder innerstädtischer Lage. Zielgruppe sind mittelständische Unternehmen, Start-ups sowie etablierte Filialbetreiber. Die Lagerflächen sind flexibel gestalt- und modular erweiterbar, sodass sie ab einer Größe von etwa 700 Quadratmetern Handel, Gewerbe, Produktion und Logistik zur Verfügung stehen. Mittlerweile hat Panattoni zehn Gewerbeparks realisiert, von Stuttgart über Essen bis nach Berlin. Dabei setzt Panattoni auch auf das Thema Nachhaltigkeit, so wird in Kirchheim bei München eine Logistikimmobilie realisiert, die den DGNB-Platinstandard anstrebt. Hier sind eine umfangreiche Begrünung der Fassaden- und Dachflächen sowie die Installation einer Photovoltaik-Anlage zur emissionsarmen Energieversorgung vorgesehen. Auch in anderen Projekten wird vermehrt geprüft, ob und wie auf Photovoltaik oder Fernwärme gesetzt werden kann. „In Berlin wird mittlerweile das dritte City Dock-Projekt realisiert“, erklärt Wissel begeistert. Sein Team konnte einige Mieter für die Projekte gewinnen. Zurzeit entsteht in Berlin Marzahn eine innovative Campus-Lösung, bei der erstmalig Business- und Logistikpark miteinander vereint werden.

City Dock

Ganz unterschiedliche Kunden und Branchen entscheiden sich für einen Einzug in die City Docks: von Unternehmen, die Spielzeug, Textilien und Wohnaccessoires für Babys und Kleinkinder verkaufen über ein Berliner Möbelgeschäft bis hin zu Pharmaunternehmen, die Medikamente zwischenlagern.

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Mehrgeschossige Logistikimmobilien

„Da neben der Regulierung oft die Verfügbarkeit von Flächen das Problem bei der Last Mile-Logistik ist, spielen innovative Ideen wie mehrgeschossige Logistikimmobilien eine immer größere Rolle.“, erklärt Wissel. So wurde in Hamburg das Mach2 von Fourparx realisiert, und auch andere Projektentwickler setzen im urbanen Raum auf Mehrgeschossigkeit. Goodman etwa plant gerade eine Multilevel-Immobilie in Hamburg-Billbrook.

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Mischnutzung

„Wenn es um Flächennutzung im urbanen Raum geht, darf der Begriff Mischnutzung nicht fehlen.“, verkündet Wissel. Dass Büro und Logistik und vermehrt auch Einzelhandel und Logistik zusammen gedacht werden, ist nicht neu. Doch ein Blick ins Ausland zeigt auch, dass Logistik und Wohnraum sich nicht zwingend ausschließen. Vor allem in Großbritannien steht das Konzept „Beds & Sheds“ hoch im Kurs. „Insgesamt lohnt sich ein Blick ins Ausland, um Lösungen für die urbane Logistik zu finden“, betont Wissel. Beispielsweise ist London deutlich flexibler, was (Um-)Nutzungskonzepte bestehender Immobilien angeht.

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Warenhäuser

Kurzfristig könnten leer stehende Warenhäuser für Entlastung sorgen, ergab eine Analyse von PwC in Kooperation mit der Immobilien Zeitung. Aufgegebene Warenhäuser, zum Beispiel von Galeria Karstadt Kaufhof, sind aufgrund ihrer Gebäudecharakteristika mitunter prädestiniert für die Citylogistik: Sie liegen zentral, nutzen eine vorhandene Infrastruktur, haben Lastenaufzüge, oft eine geeignete Raumtiefe und Deckenhöhe. Somit ist laut Analyse eine Umnutzung ohne großen Aufwand möglich. Doch auch hier bedarf es erst einer baurechtlichen Genehmigung.

Ohne Elektromobilität keine letzte Meile?

Das könnte jedoch nur eine Teillösung sein, erklärt Oliver Wissel: „Digitalisierung – genauer gesagt Daten und deren Nutzung – sowie Elektromobilität sind weitere Entwicklungen und Technologien, die dabei nicht zu vernachlässigen sind.“ So planen einige Metropolen, ihre Innenstädte zukünftig autofrei zu gestalten. „Berlin denkt beispielsweise darüber nach, Lkw aus der Stadt zu verbannen, während Amsterdam das bereits teilweise in die Tat umgesetzt hat“, so Wissel. Es müssen also nicht nur passende Immobilien gefunden werden, die zentral gelegen sind und über genügend Parkplätze und Anlieferungsmöglichkeiten verfügen – die Objekte müssen auch über eine gute Stromversorgung und Ladekapazitäten für Elektrofahrzeuge, vom E-Bike über das E-Lastenrad bis hin zum E-Auto oder -Lkw – verfügen. Zudem wird künftig mehr Parkraum für Fahrräder und Lastenfahrräder benötigt.

Es wird also noch ein wenig dauern, bis die Last Mile-Logistik in deutschen Städten verstärkt Einzug erhält. Oliver Wissel resümiert: „Dass der Onlinehandel Teil unseres täglichen Konsums ist, haben wir spätestens seit der Corona-Krise gemerkt. Und das wird sich auch in Zukunft nicht wesentlich ändern. Urbane Logistik muss also auf lange Sicht nachhaltig in unser Stadtbild integriert werden.“

Oliver Wissel
Oliver Wissel
Director European Logistics & Industrial Advisory
Transaction

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