Sluishuis im Amsterdam

WOHNEN ÜBER WASSER: SLUISHUIS – AMSTERDAMS NEUES WOHN-WAHRZEICHEN

Majestätisch ragt die silbrig glänzende Fassade in den Frühlingshimmel. Die eines Kubus, der doch keiner ist. Denn dramatische Öffnungen und Überhänge lassen aus einem klassischen Amsterdamer Wohnblock eine neue Ikone entstehen – das Schleusenhaus.

Wer 2016 in Amsterdam-IJburg mit dem Rücken zur Metropole Amsterdam und mit Blick auf das IJmeer stand, war mehr als überrascht. Der „Baugrund“ des Aufsehen erregenden Projekts SLUISHUIS bestand aus einer glatten Wasseroberfläche. Das niederländische Architekturbüro Barcode Architects und die dänischen Kolleg:innen der Bjarke Ingels Group (BIG) stellten sich der Herausforderung: Sie schufen innerhalb eines Jahres ein solides Fundament für ein einzigartiges Quartier. „Das Gebäude schwimmt nicht. Viele Pfähle tragen das Bauwerk, dessen zwei Parketagen sogar unter der Wasseroberfläche liegen. Zwischen 30 und 65 Meter tief muss man in den morastigen Untergrund bohren, bis man auf eine tragfähige Sandschicht stößt“, erklärt der Gründer von Barcode Architects, Dirk Peters. Das Marschland zwischen dem Stadtkern Amsterdams und dem IJmeer wird sukzessive trockengelegt. Neue Stadtteile wie IJburg entstehen und werden durch identitätsstiftende Gebäude wie dem SLUISHUIS mit Leben gefüllt.

Neue Typologie auf dem Wasser

„Wir wollten eine Verbindung zwischen Land und Wasser schaffen. Also lehnten wir uns zunächst an die klassische europäische Wohnblock-Struktur mit dem typischen Amsterdamer Innenhof an. Diese erhielt im zweiten Schritt Cutouts, um dem Kubus eine gewisse Leichtigkeit und Eleganz zu verleihen. Einladend terrassiert zur Landseite, sodass SLUISHUIS eben nicht wie ein massives Bollwerk wirkt“, erklärt Peters. Diagonal entgegengesetzt planten die Architekt:innen die aufsehenerregende Öffnung zur Wasserseite. Ein faszinierender Überhang entstand, der die oberen Etagen scheinbar über dem Wasser schweben lässt. „Gleichzeitig betritt man durch die schmale Öffnung auf der Landseite den Innenhof mit einem fantastischen Blick in die Natur. Man glaubt kaum, dass man sich in einer Großstadt befindet“, beschreibt der ambitionierte Architekt das Gefühl, im Inneren des Kubus zu stehen. Den Dialog zwischen Land und Wasser spürt man auch in der Verwendung der Materialien: Die glänzende, metallische Außenseite mit ihren Ringlichtern und Balkonen erinnert an ein elegantes Kreuzfahrtschiff. Zur Landseite dominieren der warme Holzton und das Grün der Terrassen. Beides wirkt einladend auf Besucher:innen.

Schleusenhaus Amsterdam

Hafenbecken im Innenhof:  Der sommerliche Splash vom Steg wird von den Bewohner:innen beklatscht.

Warum Schleusenhaus?

Nur ein paar Gehminuten vom heutigen modernen SLUIS-HUIS entfernt befand sich eine kleine, alte Schleuse. Passierte man in früheren Zeiten den Fluss IJ Richtung Altstadt, grüßte der Schleusenwärter. Auf diese Willkommensgeste wollte Barcode referenzieren. Gedacht nicht nur für wenige Privilegierte, die über einen entsprechenden Geldbeutel verfügen, sollte ein Ort für alle geschaffen werden. In dem für Amsterdam typischen offenen Innenhof können sich Menschen aller Schichten begegnen. „Neben allen architektonischen Besonderheiten ist das die absolute Stärke des Konzepts: Der Fokus auf menschliche Interaktion“, erklärt Peters.

Das SLUIHUIS schafft eine neue Nachbarschaft. „Menschen kommen nicht nur dorthin, weil es beeindruckend ist. Sie interagieren. Im Sommer machen viele hier Selfies oder TikTok-Videos. Wer macht zum Beispiel den coolsten Sprung in das kleine Hafenbecken im Innenhof? Gleichzeitig stehen die Bewohner:innen auf ihren Balkonen und applaudieren“, erzählt Peters aus dem tatsächlichen Leben im SLUISHUIS. Um das Gebäude herum führt eine öffentliche Promenade. Hier mieten Wassersportbegeisterte Kanus und kleine Boote. Das SLUIHUIS bietet neben dem Schwerpunkt Wohnen eben auch einen hohen Freizeit- und Erlebniswert. „Auf der Landseite lädt die moderne Freitreppe Menschen ein, das Gebäude zu erklimmen. Von der öffentlichen Dachterrasse aus hat man eine fantastische Sicht auf die Stadt und das IJmeer. Es gibt wenig öffentliche Aussichtspunkte in Amsterdam, die 52 Meter in den Himmel ragen. Besucher:innen entspannen hier – mit AirPods in den Ohren und einer Flasche Wein.“

Innovative Konstruktion

Schleusenhaus Amsterdam

Einladend terrassiert zur Landseite: Hier dominiert der warme Holzton. Die moderne Freitreppe lädt ein, das Gebäude zu erklimmen.

„Den Architektenwettbewerb gewannen wir aufgrund der aufsehenerregenden Schleusenöffnungen. Allerdings fragten die Bauingenieur:innen im Anschluss, ob wir nicht doch mit Säulen arbeiten könnten“, schmunzelt Peters im Gespräch mit der City-Reports-Redaktion. Die Öffnungen zur Land- wie zur Wasserseite seien trotzdem eine willkommene Herausforderung gewesen. Das Team begann mit kleinen Cutouts und arbeitete sich Stück für Stück an die heutige Größe von fast 52 m heran. Auf der Landseite war es durch die ansteigende Terrassierung der Balkone relativ leicht, diesen Effekt der fehlenden Ecke zu erzielen. Auf der Wasserseite gestaltete sich das etwas schwieriger. Denn die Architekt:innen wollten die Idee umkehren und die untere Ecke des Kubus entnehmen. Die Wohnungen in den oberen Geschossen sollten somit über dem Wasser hängen. Die Lösung der kreativen Bauingenieur:innen: Ein Korridor aus massiven, 45 cm dicken Wänden, die über die gesamte Länge von 90 m verlaufen, trägt den Überhang. An diesem Korridor sind die Böden und Wände der Wohnungen verankert. „Nur so konnten wir den Ausleger zur Wasserseite hin bauen und stabilisieren. Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Kreativen und den Ingenieur:innen war unabdingbar, die Kosten dafür herausfordernd bis unbezahlbar“, erklärt Peters. Auch der Wind wurde beim SLUISHUIS wegen der exponierten Wasserlage zur Herausforderung. Der Sockel fußt deshalb etwa einen Meter über der Wasserlinie. Peters führt aus: „In unseren Projekten geht es häufig nicht nur um das Gebäude als solches, sondern auch um Luftströme oder Verschattung innerhalb des Stadtgefüges.“

Wohnen im SLUISHUIS

Eine Vielzahl von Wohntypen soll eine gute Mischung der Bewohner:innen gewährleisten. Peters verrät, dass 369 Wohneinheiten von einem Investor zur Vermietung gekauft wurden. Weitere 72 City-Apartments werden von Mietenden und Eigentümer:innen gleichermaßen bewohnt. Die 200-m²-Penthäuser sind Eigentum. Mit einer gemischten Altersstruktur: Hier wohnen Best Ager, die keinen eigenen Garten pflegen möchten, neben jungen Influencer-Millionär:innen. Die liberale Grundhaltung der Niederländer:innen soll sich in diesem Gebäude widerspiegeln. „Die heutigen Bewohner:innen sind unglaublich stolz auf dieses Quartier und laden Vorübergehende ein, hereinzukommen und sich umzusehen. Nach vier Jahren Bauzeit war schnell klar, dass das Konzept auch in der Realität funktioniert. Dafür haben wir den ‚Best Architecture Multiple Residence‘ bei den European Property Awards 2022 gewonnen“, so Peters.

Aluishuis Amsterdam

Nachhaltigkeit

Das niederländische wie das dänische Architekturbüro hatten den Anspruch, eines der nachhaltigsten Gebäude Amsterdams zu entwerfen. Mit einem Energieleistungskoeffizienten (EPC) von 0,00 ist ihnen das gelungen. Der Heizbedarf wird durch exzellente Isolation, Dreifachverglasung und Wärmerückgewinnung minimiert. Ein Teil des Energieverbrauchs für Heizung, Wärmepumpen, Lüftung und LED-Beleuchtung wird mithilfe von 2.200 m² Solarpanelen erzeugt. Neben technischen Aspekten legten die Architekt:innen ihr Augenmerk auf die Begrünung und das Thema Wasser. So wurden an den Fronten, Seiten und im Innenhof Grünflächen mit heimischen Pflanzen angelegt. „Etage für Etage klettert das Grün so bis in den Dachgarten, wo die Flora mit der Umgebung verschmilzt“, freut sich Peters.

Wahrzeichen inspiriert

Der Kubus mit den Schleusen wird zum Wohn-Wahrzeichen Amsterdams, wenn nicht gar zum Aushängeschild für die niederländische Architektur. Dirk Peters räumt ein: „Die Jahre 2010 bis heute sind eine architektonisch reiche Zeit. Vergleichbar mit den Super-Dutch-Architekt:innen der 1990er-Jahre. Alles schien möglich – bei Design, Nachhaltigkeit oder Material. In der aktuellen Situation wäre SLUIHUIS nicht mehr darstellbar. Explodierende Baukosten, Inflation und die Angst vor einer Rezession lähmen.“ Aber er glaubt, dass es weltweit Entwickler inspirieren wird, anders über Architektur nachzudenken. Das Projekt habe Barcode wie BIG gleichermaßen stimuliert. Die ähnliche Denkweise und Architektursprache beider Büros führte dazu, dass SLUISHUIS von Anfang bis Ende eine gelungene Kooperation war.

Es scheint, als würden in Deutschlands Nachbarländern wagemutige Projekte wie SLUISHUIS oder The Valley eher angegangen werden. Warum die Deutschen weniger wagen, will die Redaktion wissen. Peters antwortet: „Meiner Meinung nach hängt das mit einer tradiert hierarchischen wie politischen Denkweise bei der Stadtentwicklung zusammen. Aber mit einer neuen Generation von Verantwortlichen ändert sich das. Inzwischen werden veränderte Lebensbedingungen, Nachhaltigkeit und identitätsstiftende Elemente in den urbanen Raum einbezogen. Mit unserer modernen Typologie könnten wir im Prinzip in jeder A-Stadt Deutschlands Mehrwert und neue Identitäten schaffen.“ Peters schätzt Hamburg, wo in der HafenCity Innovatives entlang der Wasserlinie entstand. Oder Städte wie Dortmund und Düsseldorf, die sich offen für den Hochhausbau zeigen.

Wir können uns nicht nur Träumereien hingeben, das Bauwerk muss tatsächlich realisierbar sein.

Dirk Peters, Gründer von Barcode Architects
Dirk Peters
Gründer von Barcode Architects

Was bleibt, ist „Kreativer Realismus“

„Architektur ist ein konjunkturabhängiges Geschäft. Neue Anforderungen, etwa beim Thema Nachhaltigkeit, sollten jedoch nicht nur als finanzielle Bürde, sondern auch als positive Herausforderung gesehen werden. Intelligente Lösungen sind nun gefragt. Ich nenne das ‚Kreativen Realismus‘. In der Architektur geht es nicht nur um die äußere Form. Ein guter Entwurf muss auch die Antwort auf eine herausfordernde Umgebung oder Umstände geben. So werden Projekte wie das SLUISHUIS mehr wert als ihre einzelnen Komponenten“, schließt Peters das Gespräch und schaut zufrieden auf die Schleuse im Abendrot.

BARCODE ARCHITECTS

Barcode Architects ist ein internationales Büro für Architektur, Städtebau und zeitgenössisches Design. Unter der Leitung von Dirk Peters arbeiten 70 kreative Köpfe, darunter Architekt:innen, Stadtplaner:innen und Bauingenieur:innen. „Die lokalen Gegebenheiten inspirieren uns und setzen gleichzeitig die Leitplanken für das Projekt. Jedes Barcode-Gebäude ist ein Unikat, das sich perfekt in die Umgebung einpasst und auf die speziellen Bedürfnisse der Nutzenden zugeschnitten ist. Der besondere Twist unserer Entwürfe liegt darin, dass sie Emotionen wecken und Erlebnisse schaffen“, so Dirk Peters.

UNEXPECTED TWIST

„Unsere Handschrift erkennt man am ‚Unexpected Twist‘. Zum Beispiel beim Rathaus-Neubau in Dresden. Die klassische Architektur, verbunden mit einer offenen Platzgestaltung, lässt den Entwurf wie ein Cityloft wirken und nicht wie ein graues, trostloses Verwaltungsgebäude. Hier werden Politik und Bürgerschaft zum Dialog eingeladen. Ebenso unerwartet: der Masterplan zum Rijnhaven, dem ältesten Hafenbecken Rotterdams. Die äußere Gestaltung der Hochhäuser mag auf den ersten Blick verstören und futuristisch wirken. Durch den weitläufigen Citypark, viel Grün und öffentliche Plätze und Spielplätze ergibt sich aber ein gelungener Mix aus Urbanem und Grün“, so Dirk Peters.

Autorin: Michaela Stemper
Visualisierungen: The Virtual Dutchmen; Foto: studiohanswilschut

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