Wohnmarkt Händelstraße City Reports

DEUTSCHER WOHNMARKT – ES STEHT VIEL AUF DEM SPIEL

Wohnen gilt als krisenfest mit guter Perspektive. Eine hohe Nachfrage und solide Cashflows sprechen für Residential Investments. Soweit das traditionelle Bild. Aber lässt sich die Erfolgsgeschichte fortschreiben? Stehen wir an einem neuralgischen Punkt? Ein Gespräch mit Lars von Lackum, Vorstandsvorsitzender der LEG Immobilien SE, über aktuelle Risiken im Wohnmarkt.

Herr von Lackum, welche Perspektive haben Investoren in deutsche Wohnimmobilien noch? Haben wir das Hoch bereits gesehen?

Lars von Lackum: Der Superzyklus im Segment Wohnen besteht zwar schon im zwölften Jahr, dennoch glauben wir, dass der Zenit noch nicht überschritten ist. Aus drei Gründen: erstens wegen des historisch großen Spreads von 250 bis 300 Basispunkten zwischen der Nettorendite von Wohnimmobilien und der Verzinsung der zehnjährigen deutschen Staatsanleihen. Das bedeutet, wir werden auch zukünftig weitere Aufwertungen im Bestand sehen. Zweitens: aufgrund der steigenden Wiederherstellungskosten. Wir beobachten eine deutliche Inflationierung der Materialkosten im Baugewerbe. Gleichzeitig sind steigende Lohnkosten zu erwarten. Beides führt dazu, dass sich die Baukosten erhöhen. Hinzu kommt der Preisdruck durch die nachhaltigen Aspekte. Zum Ende des Jahres 2021 mussten Neubaukosten von 3.400 €/m² kalkuliert werden. Dafür können Sie zukünftig keinen laufenden Meter Wohnfläche mehr bauen. Drittens: Der sozial-ökologische Umbau unserer Volkswirtschaft gelingt nur durch Zuwanderung. Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet mit 400.000 Arbeitenden pro Jahr. Diese erhöhen noch einmal deutlich die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum. Und wir werden auch wieder mehr Zuzug durch flüchtende Men- schen sehen, die ein sicheres Zuhause brauchen – gerade mit Blick auf die dramatische Lage in der Ukraine.

Keine Frage – der Bezahlbarkeit von Mieten müssen wir uns sicherlich alle stellen.

Lars von Lackum
Vorstandsvorsitzender der LEG Immobilien SE

Als ehemaliger Vorstand der ERGO Versicherungsgruppe haben Sie sicherlich auch heute noch einen besonderen Blick auf das Thema Risiko. Welche Risiken sehen Sie aktuell?

von Lackum: Ehrlicherweise gehe ich meinen Vorstandskolleg:innen mit der akribischen Durchsicht des umfangreichen Risikoberichts ein bisschen auf die Nerven. Aber die vorausschauende Behandlung von Risiken ist eben enorm wichtig. Das Erreichen der Klimaziele nimmt inzwischen einen hohen Stellenwert ein. Zwei Beispiele: 2019 lagen die Kosten für die Beseitigung von Totholz, also Bäumen, die dem Klimawandel zum Opfer fielen, bereits bei 2 Mio. €. 2021 waren auch unsere Bestände vom Starkregen und Hochwasser an der Ahr betroffen. Was bedeutet, dass wir uns intensiv mit ökologischen Themen beschäftigen müssen: Liegen Bestandsgebäude beispielsweise in Regionen, die hochwassergefährdet sind? Auch beim Ankauf wird das geprüft – die Kosten für Schutzmaßnahmen steigen. Bei der Suche nach Lösungen ist allerdings nicht nur der Bestandshalter, sondern auch die jeweilige Kommune gefragt.

Beim Thema Mietregulierung muss ich vorweg- schicken, dass wir nicht eine einzige Wohneinheit in Berlin halten. Insofern will ich mich als Kommentator am Spielfeldrand verstanden wissen. Die Zeit, die wir zeitweise in Gesprächen für das Thema aufwenden, zeigt, dass Mietendeckel wie Enteignung Residential-Investoren nachhaltig beschäftigen. Viele treibt die Sorge um, dass die Berliner Diskussion der Einstieg in den Ausstieg aus der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sein könnte. Das können angelsächsische Investoren kaum nachvollziehen. Denn sie glauben, dass die freie Marktwirtschaft stets die besseren Lösungen bietet. Deshalb wird dieses Szenario mit Argwohn betrachtet.

Keine Frage – der Bezahlbarkeit von Mieten müssen wir uns sicherlich alle stellen. Dafür braucht es verlässliche Rahmenbedingungen: von der Mieterhöhung im Bestand über die Ausgestaltung für Neumietende bis hin zu Modernisierungsumlagen. Wenn ich keine Möglichkeit habe, die Kosten für eine nachhaltige Sanierung auf die Miete umzulegen, werde ich mich mit den Maßnahmen schwertun. Die spontane Abschaffung der KfW-Förderung war ein Schock für die Branche. So wird Vertrauen in der langfristig denkenden Wohnwirtschaft zerstört. Letztendlich müssen sich alle Betei- ligten verständigen, damit auch zukünftig noch Eigen- und Fremdkapital in dieses Segment fließen.

Und wo liegen Chancen? Beispielsweise in der Digitalisierung, denn als Chief Digital Officer waren Sie 2019 für das Segment verantwortlich.

von Lackum: Zunächst birgt der Klimaschutz nicht nur Risiken, sondern bietet auch unternehmerische Chancen. Es ist die einmalige Gelegenheit, den eigenen Bestand energieeffizient zu modernisieren und das Know- how daraus Dritten anzubieten.

Zur Digitalisierung: Intensiviert haben wir im Be- trieb das Thema Robotic Process Automation, kurz RPA. Standardtätigkeiten wurden durch Algorithmen ersetzt. Zum Beispiel die Durchsicht eingehender Postsendungen. Ein „Roboter“ prüft eingehende Mails und steuert Mietgutschriften, Mahnungen oder Nebenkosten. So gelingt eine optimale Allokation auf Mitarbeitende. Das ist sicherlich noch keine KI, hilft aber, Effizienzen zu heben. Mittlerweile haben wir 53 dieser Co-Bots im Einsatz.

Modern und digital ist auch unsere Mietenden-App. Allerdings wird diese gar nicht so intensiv genutzt, wie wir uns das vielleicht gewünscht hätten. Also versuchen wir, das Engagement zu erhöhen. Etwa indem wir die Möglichkeit schaffen, Dienstleistungen rund um das Gebäude zu bewerten. Wie wurde der Rasen gemäht? Wie zufrieden ist man mit der Treppenhausreinigung? Der Nutzen ist wechselseitig: Mietende finden dadurch mehr Gehör, Dienstleister können ihre Qualität verbessern. Auch Angeboten von Kooperationspartnern stehen wir offen gegenüber, um die Zufriedenheit der Mieter:innen zu steigern. Amazon kann beispielsweise mithilfe einer digitalen Lösung Pakete in unseren Quartieren direkt an der Haustür zustellen, auch wenn niemand zu Hause ist. Trotz aller Bemühungen müssen wir bei Mietpreisen von 6,10 €/m² zugeben, dass wir nicht der Pionier bei allen digitalen Entwicklungen, etwa im Smart-Home-Sektor, sein können.

Wie diversifiziert die LEG ihr Immobilienportfolio, um eine gute Balance zwischen Chance und Risiko zu finden?

von Lackum: Wir möchten Marktführer bei bezahlbarem Wohnen sein – hier kennen wir uns bestens aus. In unserem Portfolio sind 22 % des Bestands öffentlich gefördert. Und auch im freifinanzierten Bestand liegt unsere Durchschnittsmiete in der Regel unter der des Wettbewerbs. Um zu wachsen, haben wir in den vergangenen Jahren gezielt Bestände dazugekauft, die genau in dieses Segment passen, u. a. von Vonovia und Vivavest, der Deutschen Wohnen oder zuletzt von der Adler Group. Regionale Diversifikation bedeutet für uns zunächst die Investition über die Landesgrenzen von NRW hinaus, und nicht nur zwischen Aachen und Münster, sondern zwischen Flensburg und Mannheim aktiv zu sein.

Natürlich agieren wir in einem Dreieck aus Klimaschutz, Miete und Rendite.

Lars vom Lackum

Der zweite Aspekt der Diversifikation findet sich in unserem Neubauprogramm. Bis 2023 sollten jährlich 500 Einheiten gebaut oder als Neubau gekauft werden. Inzwischen haben wir das Ziel auf 1.000 Ein- heiten ab dem Jahr 2026 erhöht. In Kooperation mit Goldbeck setzt LEG verstärkt auf modulares Bauen, um Fortschritte bei der Schaffung von bezahlba- rem Wohnraum zu erzielen. Aber auch, um den eingangs erwähnten steigenden Baukosten zu begegnen.

Wohnmarkt Freiburgweg City Report

Wie geht das Unternehmen mit Klimazielen und der Sanierung von Bestandsimmobilien um? Lohnt sich im Spannungsfeld von gestiegenen Baukosten und bezahlbarem Wohnen eine Sanierung?

von Lackum: Natürlich agieren wir in einem Dreieck aus Klimaschutz, Miete und Rendite. Als ehemaliges Unternehmen des Landes NRW mit einem etwas stärkeren Gewicht auf dem sozialen Aspekt. Das heißt, wir stellen uns stets die Frage, ob eine energetische Sanierung für den Einzelnen tragbar ist. Dazu muss die traditionelle Art der Sanierung mit bis zu fünf unterschiedlichen Gewerken hinterfragt werden. Vieles davon ist planungsintensiv und kostentreibend. Wenn wir mehr Geschwindigkeit an den Tag legen wollen und mit Blick auf die Kostendegression, brauchen wir serielles Sanieren. Dennoch werden unterm Strich Kosten für Mietende übrig bleiben. Was nicht passieren darf: Dass Einkommensschwächere in nicht sanierten Gebäuden wohnen und wegen steigender Energiepreise durch die CO2-Besteuerung im Winter nicht mehr heizen können. Das sind Zustände wie in Südosteuropa, die ich für ein eiches Industrieland wie Deutschland für untragbar halte. Andererseits dürfen Gebäude auch nicht so saniert werden, dass sich Mieter:innen aufgrund der Umlagen ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Neben der Förderung der Vermieter:innen braucht es deshalb zwingend eine sozial gerechte Förderung für Mietende. Das geplante Energiegeld von 135 €/Person ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wer die Miete trotzdem nicht stemmen kann, kann eine Härtefallregelung in Anspruch nehmen. Hier haben wir uns mit Vonovia und Vivavest Wohnen auf ein gemeinsames Konzept verständigt.

Welche ESG-Ziele verfolgen Sie als Unternehmen?

von Lackum: Unsere nachhaltigen Ziele wirken nicht nur nach außen, sondern werden auch nach innen gelebt. Alle Mitarbeitenden wird an kurz- und vor allem langfristigen ESG-Zielen gemessen. Im Bereich Umwelt beschreiten wir einen CO2-Reduktionpfad, den wir Mitte vergangenen Jahres definiert haben. Er wir das Unternehmen und damit den verwalteten Immobilienbestand bis 2045 von anfänglich 36,7 kg CO2/m² auf 2 kg CO2/m² führen. Dieses Jahr möchten wir allein mit eigenen Modernisierungsmaßnahmen 4.000 Tonnen CO2 einsparen. Auf mittlere Sicht haben wir uns vorgenommen, innerhalb von vier Jahren unsere CO2-Emissionen um mindestens 10 % zu verringern. Bei der sozialen Betrachtung arbeiten wir auf Zufriedenheitsziele für Kund:innen und Mitarbeiter:innen hin. Letzteres ist mit Blick auf die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt nochmals stärker in den Fokus gerückt. Im Bereich Governance blicken wir auf das Sustainalytics Rating. Dabei wird unser Verbleib in der „vernachlässigbaren“ Risikokategorie angestrebt. Aktuell ist LEG übrigens als eines der 50 besten von mehr als 14.000 Unternehmen weltweit geratet.

Viele Unternehmen berechnen für ihr nachhaltiges Handeln zudem oftmals eigene Indizes, bei denen eine Zielverfehlung in einem Bereich durch eine Überper- formance in anderen ausgeglichen werden kann. Wir denken Nachhaltigkeit in jeder Kategorie. Die einzelne, jeweils klar messbare Zielvorgabe muss am Ende des Tages individuell erfüllt sein.

Wie gelingt der LEG SE als börsennotiertes Unternehmen der Spagat zwischen Aktionärsinteressen und gutem, bezahlbarem Wohnen?

von Lackum: Es mag den ein oder anderen verwundern, aber unsere Investoren sind große ESG-Befürworter. Beispielsweise haben BlackRock oder Massachusetts Financial Services (MFS) einen sehr klaren Blick auf die ESG-Anforderungen. Wir tragen unseren Teil als sozial orientiertes Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht bei. Die langfristige Orientierung unserer Investoren passt somit zum Markt und ist nicht von kurzfristigen Gewinnerzielungsabsichten getrieben. Es wird also nicht um eine Dividendenerhöhung in der dritten Nachkommastelle gefeilscht.

Es heißt, politische Börsen hätten kurze Beine. Gilt das auch für den Wohnmarkt? Also darf man die aktuellen Regulierungen im langfristigen Vergleich nur als kurze Einschläge ins Wohnkontor betrachten?

von Lackum: Das Berliner Thema wird sich beruhigen, wenn es ein Ergebnis der Expert:innenkommission zur Enteignung und ein klares politisches Statement der dortigen Regierung geben wird. Bis zur endgültigen Klärung wird das allerdings sehr wohl ein Thema sein, das die Aktien im deutschen Wohnmarkt immer wieder belasten wird. Man darf die Tragweite nicht verkennen: Die Sorge ausländischer Investoren gilt dem Fortbestehen der sozialen Marktwirtschaft über alle Branchen hinweg. Hingegen sind Veränderungen der Kappungsgrenze oder die Verlängerung der Mietspiegelzeiträume nur kurz von Bedeutung und lassen Aktienkurse temporär schwanken.

Eine Frage zum Abschluss: Wie investieren Sie privat?

von Lackum: An der Börse bin ich wohl der beste Kontraindikator. Was ich kaufe, davon lässt man besser die Finger. Das können sogar meine Kinder bestätigen. Alle Chancen rund um Bitcoin und Tesla habe ich verkannt. Privat bin ich sehr risikoavers und investiere in die Assetklasse, in der ich mich am besten auskenne: Wohnen. Mein Lieblingsobjekt ist meine erste Wohnimmobilie. Hier bin ich weiterhin Bestandshalter und verliebt in mein kleines Mehrfamilienhaus in Köln-Lindenthal.

Dieser Artikel ist Teil der Reihe City Report Wohnimmobilien

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Der Artikel basiert auf einem Interview vom 31.01.2022

Autorin: Michaela Stemper
Fotos / Visualisierungen: LEG Management GmbH

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