Während immer wieder Schließungswellen bei Retailern wie zum Beispiel Galeria, Görtz oder Gerry Weber den Diskurs zur Entwicklung der stationären Einzelhandelslandschaft prägen, haben im Windschatten dieser Schlagzeilen nachvermietete Großflächen die Marktdynamik in der ersten Jahreshälfte spürbar angekurbelt. Dabei wird deutlich, dass Schließungen nicht zwingend den Rückzug aus den Innenstadtlagen bedeuten, sondern vielmehr strategischer Natur sind und den Startschuss für gezielte Neueröffnungen darstellen können. Dieses Zusammenspiel aus Geschäftsaufgaben auf der einen und Neupositionierungen auf der anderen Seite hat sich im ersten Halbjahr ganz entscheidend auf den Retail-Flächenumsatz ausgewirkt, was sich in den Marktdaten von BNP Paribas Real Estate zum innerstädtischen Vermietungsgeschehen widerspiegelt.
Großabschlüsse mit höchstem Flächenumsatz seit 2017, Fashionbranche als wichtigster Treiber
Mit einem Flächenumsatz von insgesamt rund 275.000 m² in Citylagen erreichte der bundesweite Retailmarkt in den ersten sechs Monaten das beste Zwischenresultat seit 2019 (gut 280.000 m²) und lässt damit die Vorjahresergebnisse der letzten beiden Jahre um 37 % (Q1-2 2022) bzw. 24 % (Q1-2 2021) hinter sich. Betrachtet man ausschließlich das Vermietungsvolumen im Segment der Flächen ab 1.000 m² (über 160.000 m²) konnte zur Jahresmitte seit 2017 (etwa 165.000 m²) kein vergleichbarer Flächenumsatz mehr generiert werden. „Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Großflächen mit einem Umsatzanteil von knapp 60 % im laufenden Jahr die wichtigste Säule der Vermietungsaktivitäten bilden. Mehr als die Hälfte dieser Flächen wurden zuvor von Waren- oder Textilkaufhäusern wie u. a. Galeria, Appelrath Cüpper, C&A, H&M oder Zara bespielt, die sich teilweise allerdings schon wieder neue Standorte in Top-Lagen sichern konnten. Diese Beispiele zeigen, dass es oftmals die gleichen Akteure sind, die einerseits für Zugänge zum Flächenangebot sorgen, andererseits aber auch für Leerstandsabgänge verantwortlich zeichnen“, so Christopher Wunderlich, Head of Retail Advisory bei BNP Paribas Real Estate. Demzufolge ist insbesondere das Volumen der Fashionbranche im Segment über 1.000 m² mit insgesamt knapp 100.000 m² bemerkenswert. Hierzu lassen sich auch bei den Einzelhandelsumsätzen im stationären Modehandel positive Tendenzen erkennen: So lag der Umsatz im Fashionsektor laut den Daten der Textilwirtschaft im ersten Halbjahr 17 % über dem Vergleichswert aus dem Vorjahr und damit sogar im Bereich der ersten sechs Monate des Vor-Corona-Jahres 2019. Auch wenn hierbei die Preissteigerungen im Zuge der Inflation zu berücksichtigen sind, senden diese Zahlen ein positives Signal für die zweite Jahreshälfte.
Top-Märkte generieren Ausnahmeresultat, Städtetrio profitiert vom Großflächentrend
Parallel zu den Entwicklungen auf dem bundesweiten Vermietungsmarkt blicken vor allem die A-Städte sowohl gemessen am Vermietungsvolumen als auch an der Anzahl der Deals (bestes Zwischenergebnis seit 2019) auf ein sehr dynamisches erstes Halbjahr zurück. Mit einem Flächenumsatz von knapp 90.000 m² bewegen sich die sieben größten Retailmärkte aktuell durchschnittlich rund 40 % über den Halbjahresniveaus der letzten fünf Jahre. Maßgeblich hieran beteiligt sind bisher insbesondere Berlin (25.000 m²), Frankfurt (20.000 m²) und Düsseldorf (19.000 m²), die mit 700 m², 1.400 m² und 800 m² sehr hohe durchschnittliche Flächengrößen pro Vermietung erreichen. Sehr gute Ergebnisse sind zudem aber auch für Hamburg und Köln zu vermelden, wo sich neuvermietete Flächen in der Zwischenbilanz auf 10.000 m² bzw. 8.000 m² summierten. In München fehlen im laufenden Jahr dagegen die Großvermietungen, die es im Vorjahr gegeben hat. Dass die Zahl der Abschlüsse hierbei jedoch höher ausfällt als in den vergangenen Jahren ist als ein klares Indiz für die ebenfalls gute Vermietungsdynamik in der bayerischen Landeshauptstadt zu werten (rund 5.000 m² und knapp 20 Abschlüsse). Lediglich in Stuttgart konnten mit rund 3.000 m² bislang nur vereinzelte Neuvermietungen in den Citylagen verzeichnet werden. Insgesamt ist aber auch für die Top-Märkte festzuhalten, dass Großflächen auch nur neu vergeben werden können, wenn sie vorher freigezogen wurden.
Spitzenmieten stabil, positives Marktsentiment ohne Kompromisse bei Vermietern nicht möglich
Weniger dynamisch als das Vermietungsgeschehen stellt sich derzeit die Entwicklung der Spitzenmieten dar, die ihr konstantes Niveau im laufenden Jahr bis dato bestätigen konnten. Demnach bleibt München mit 310 €/m² an der Spitze unverändert der teuerste Markt vor Frankfurt (285 €/m²), Düsseldorf (280 €/m²), Berlin (250 €/m²), Hamburg (245 €/m²), Köln (240 €/m²) und Stuttgart (200 €/m²). Generell ist bei der Mietvertragsgestaltung zudem darauf hinzuweisen, dass die Marktbelebung im ersten Halbjahr insbesondere auch auf die zunehmende Kompromissbereitschaft von Vermietern zurückzuführen ist, die durch Risikobeteiligungen und Incentives zu einer spürbaren Erhöhung der Abschlussbereitschaft bei potenziellen Mietern beitragen konnten.
„Zusammenfassend haben aufgegebene Flächen im Zusammenspiel mit umfangreichen Neupositionierungen das Marktgeschehen im ersten Halbjahr maßgeblich bestimmt. Vor dem Hintergrund, dass bei vielen namhaften Retailern auch im weiteren Jahresverlauf Umstrukturierungen und Standortwechsel zu erwarten sind, stehen die Chancen gut, dass der Retailmarkt den Schwung aus den ersten sechs Monaten in die zweite Jahreshälfte transportieren kann“, fasst Christoph Scharf, Geschäftsführer der BNP Paribas Real Estate GmbH und Head of Retail Services, die weiteren Aussichten zusammen.