Neues Post-Covid-Niveau beim Flächenumsatz, Stabilisierungstrend bei den Spitzenmieten und nahezu 2019er-Level bei den Passantenfrequenzen
Im Jahr 2022 haben sich auf dem Retail-Vermietungsmarkt viele wichtige Erkenntnisse herauskristallisiert, die durch die Transformationsprozesse im Zuge der Corona-Krise angestoßen wurden: Der Retail-Flächenumsatz in Innenstadtlagen hat sich mittlerweile auf einem Post-Covid-Niveau eingependelt, bei den Spitzenmieten zeichnen sich nach zwei Jahren in der Abwärtsspirale wieder Stabilisierungen ab und die Passantenfrequenzen konnten sich seit dem Frühjahr nicht nur vollständig erholen, sondern ihre Vorjahreswerte in der Regel sogar deutlich übertreffen. Welche einzelnen Entwicklungen sich hinter diesen übergeordneten Retailtrends verbergen, hat BNP Paribas Real Estate mithilfe der Marktdaten für das Jahr 2022 analysiert.
Vermietungsdynamik: Flächenumsätze konstant, Vor-Krisen-Niveau gehört der Vergangenheit an
Mit einem Flächenumsatz von knapp 400.000 m² erreichte der deutsche Retailmarkt in Innenstadtlagen 2022 ein vergleichbares Gesamtresultat wie in den beiden Vorjahren 2020 (420.000 m²) und 2021 (470.000 m²). Auch wenn mit diesem Ergebnis die Vor-Corona-Volumina von jährlich rund 600.000 m² (erzielt in den Jahren 2018 und 2019) erneut in weite Ferne gerückt sind, hat sich der Vermietungsmarkt auf einem neuen Niveau stabilisiert. Flächenumsätze zwischen 600.000 m² bis zu einer Million Quadratmetern – wie sie in der betrachteten Zeitspanne seit 2013 möglich waren – sind aus nachfolgenden Gründen nicht mehr darstellbar.
Zu den wichtigsten Faktoren gehört hierbei das umsatzstarke Segment der großvolumigen Projekt- bzw. Centerentwicklung, wobei in erster Linie die Jahre 2014 und 2015 unter anderem mit den Eröffnungen der Shoppingcenter Mall of Berlin, Milaneo in Stuttgart, Forum Hanau, Palais Vest in Recklinghausen, Minto in Mönchengladbach oder das Aquis Plaza in Aachen stellvertretend zu nennen sind. Zwar stellen Retailflächen auch weiterhin wichtige Bausteine in Mixed-Use-Entwicklungen bzw. -Quartieren dar, nehmen hierbei jedoch zumeist den geringsten Flächenanteil innerhalb der geplanten Nutzungskonzepte ein. Ein weiteres wichtiges Standbein, das bis 2019 für hohe Gesamtergebnisse gesorgt hat, ist die Veränderung der Expansionsstrategie vieler nationaler und internationaler Brands: „Während vor der Corona-Krise breitflächige Expansionsbestrebungen zu den Zielen vieler Retailer gehörten, fokussieren sich aktive Labels inzwischen auf sehr gründlich geprüfte und Standort- sowie lageorientierte Anmietungsentscheidungen“, meint Christopher Wunderlich, Head of Retail Advisory bei BNP Paribas Real Estate. Gleichzeitig sind bei großen Playern wie zum Beispiel H&M oder Zara verstärkte Neuausrichtungsprozesse zu erkennen, bei denen wenige, aber dafür große und moderne Flagship-Stores zur Markenrepräsentation und als Knotenpunkt für Multichannel-Aktivitäten angestrebt werden. In der Konsequenz ist abseits der einschlägigen Marktzahlen im bundesweiten Kontext keineswegs von einem stagnierenden Marktgeschehen zu sprechen, sondern vielmehr von gänzlich veränderten Rahmenbedingungen für Vermietungen in der stationären Einzelhandelslandschaft.
Als wichtigste Säule des Retailmarkts sind auch im Jahr 2022 wieder die Top-Märkte in Erscheinung getreten (knapp 116.000 m²), die seit 2020 konstant auf einen Marktanteil von knapp einem Drittel kommen und damit deutlich über ihrem langjährigen Mittelwert liegen (2013 bis 2019: Anteilig rund 25 %). Im Schnitt wurden 2022 in den größten Shoppingmetropolen gut 17.000 m² pro Standort neu vermietet oder eröffnet. Über diesem Durchschnitt ordneten sich in den vergangenen 12 Monaten Berlin (36.000 m²), München (22.000 m²) und Hamburg (20.000 m²) ein, womit alle drei Einzelhandelsmärkte auch im langjährigen Vergleich gute Bilanzen erzielten. In den weiteren A-Städten Köln (14.000 m²), Stuttgart (11.000 m²), Düsseldorf (8.000 m²) und Frankfurt (6.000 m²) gestaltete sich das Vermietungsgeschehen dagegen etwas kleinteiliger. Insgesamt konnten jedoch auch in diesen Märkten durchschnittlich gut 20 Vermietungen bzw. Eröffnungen registriert werden. Ein erfreuliches Zeichen für die ungebrochen hohe Attraktivität der Top-Märkte ist zudem der außergewöhnlich hohe Anteil internationaler Brands an den erfassten Vermietungen: Mit 52 % konnte hierbei der höchste Internationalisierungsgrad innerhalb der betrachteten Zeitspanne seit 2013 erreicht werden. Im Umkehrschluss ist festzuhalten: Die wichtigsten deutschen Einkaufsstraßen stellen auch weiterhin eine bedeutende Plattform für global agierende Retailer dar.
Spitzenmieten: Stabilisierungstendenzen, heterogene Entwicklungen, Luxus schlägt Konsum
Der zweite wichtige Einzelhandelsindikator, dessen Entwicklung in den vergangenen drei Jahren maßgeblich durch die Auswirkungen der Corona-Krise geprägt war, ist das Mietpreisniveau in den Top-Lagen. Insgesamt sind die Retail-Spitzenmieten bezogen auf die 64 regelmäßig durch BNP Paribas Real Estate analysierten Standorte in den Jahren 2020 und 2021 über alle Städtekategorien um durchschnittlich rund 15 % gesunken. Dieser Abwärtstrend wurde in den letzten 12 Monaten allerdings gestoppt, sodass die A-Städte 2022 allesamt ihre Vorjahreswerte bestätigen konnten. Somit belegt München mit bis zu 310 €/m² nach wie vor die Spitzenposition der teuersten Retailmärkte und platziert sich damit vor Frankfurt (285 €/m²), Düsseldorf (280 €/m²), Berlin (250 €/m²), Hamburg (245 €/m²), Köln (240 €/m²) und Stuttgart (200 €/m²).
Zu Verschiebungen kam es hierbei insbesondere zu Gunsten der Luxuslagen bzw. zu Lasten der konsumorientierten Einkaufsstraßen, was sich im innerstädtischen Vergleich einzelner Top-Märkte deutlich abgezeichnet hat. Während zum Beispiel in Hamburg die Spitzenmiete 2019 noch in der Spitalerstraße erzielt wurde (2019: 270 €/m²; 2022: 225 €/m²), sind aktuell die höchsten Mietpreise in der Hansestadt am Neuen Wall zu bezahlen (2019: 255 €/m²; 2022: 245 €/m²). Gleiches gilt für die Frankfurter Top-Konsumlage Zeil (2019: 300 €/m²; 2022: 270 €/m²) und die Luxus-Flaniermeile Goethestraße (2019: 290 €/m²; 2022: 285 €/m²), bei denen sich die Hierarchien ebenfalls verschoben haben. Und auch in Berlin liegt der durch hochpreisige Labels geprägte Teilbereich des Kurfürstendamms (2019: 170 €/m²; 2022: 160 €/m²) mittlerweile auf Augenhöhe mit dem konsumigen Abschnitt der Shoppingmeile (2019: 200 €/m²; 2022: 160 €/m²) zwischen Joachimsthaler Straße und Breitscheidplatz.
„Für das Jahr 2023 ist davon auszugehen, dass sich die Mieten insgesamt weiterhin konstant entwickeln. In einzelnen Lagen, die gestärkt aus der Corona-Krise gekommen sind, erscheinen sogar leichte Aufwärtstendenzen wieder möglich zu sein“, so Wunderlich.
Passantenfrequenzen: Deutlich über dem Vorjahr und im Bereich des Jahres 2019
Der Verlauf der Passantenfrequenzen in Einkaufsstraßen glich in den vergangenen drei Jahren einer Achterbahnfahrt. Während der Lockdowns wurden teilweise historisch niedrige Zahlen registriert, die sich dazwischen aber auch immer wieder sehr schnell erholten. Die rasche Erholungsgeschwindigkeit der Frequenzen bei sich verbessernden Rahmenbedingungen, spricht eindeutig dafür, dass der stationäre Einzelhandel weiter stark angenommen wird. Diese Einschätzung wird auch durch die laserbasierten Passantenfrequenzzählungen der Online-Plattform Hystreet.com unterstrichen: In diesem Zusammenhang lagen die Passantenfrequenzen im Gesamtjahr 2022 bezogen auf die jeweils meistbesuchten Einkaufsstraßen in den A-Städten1 durchschnittlich rund 50 % über ihren Vorjahreswerten. Darüber hinaus zeigen die Daten zudem, dass sogar die Werte des Vor-Krisen-Jahres 2019 in der Zwischenzeit nahezu erreicht sind (lediglich -5 % über das gesamte Jahr betrachtet).
„Zusammenfassend senden die drei wichtigsten Einzelhandelsindikatoren (die Vermietungsdynamik, die Spitzenmieten und die Passantenfrequenzen) eindeutige Signale dafür, dass der im Jahr 2020 begonnene Transformationsprozess in der stationären Einzelhandelslandschaft inzwischen deutlich vorangeschritten ist“, sagt Christoph Scharf, Geschäftsführer der BNP Paribas Real Estate GmbH und Head of Retail Services. Dementsprechend lässt sich mit Spannung auf die weitere Entwicklung des Retailmarkts im Jahr 2023 blicken. Dass sich der Retail-Sektor sowohl im Vermietungs-, als auch im Investment-Segment auch zukünftig bekannten oder neuen Herausforderungen gegenübergestellt sieht, steht hierbei außer Frage. Abzuwarten bleibt allerdings, wie er mit diesen Herausforderungen im laufenden Jahr umgeht.
1 Kurfürstendamm (Berlin), Schadowstraße (Düsseldorf), Zeil (Frankfurt), Spitalerstraße (Hamburg), Schildergasse (Köln), Kaufingerstraße (München), Königstraße (Stuttgart)
Quelle Passantenfrequenzen: Hystreet.com; Auswertung der Daten durch BNP Paribas Real Estate