Das Jahr 2023 war nicht nur für die gewerblichen Investmentmärkte, die maßgeblich durch das herausfordernde Finanzierungsumfeld geprägt wurden, sondern auch für die Nutzermärkte wie den Retailmarkt ein sehr bewegtes Jahr. So wurden bereits in den ersten neun Monaten insgesamt sechsmal so viele Mode-Großinsolvenzen1 verzeichnet wie im Vorjahreszeitraum (darunter z.B. P&C Düsseldorf, Hallhuber, Gerry Weber und der Modekonzern Ahlers). Hinzu kamen im vierten Quartal mit den negativen Schlagzeilen im Zusammenhang mit der Signa Holding und dem aktuell sehr expansiven Modehaus Aachener (mittlerweile ebenfalls insolvent) weitere Unsicherheitsfaktoren für viele Eigentümer und Innenstadlagen. In finanzielle Schieflage geraten sind neben den vorgenannten, eher stationär ausgerichteten Retailern, aber auch reine Online-Player, wodurch nach den starken Corona-Jahren sogar zunehmende Sättigungstendenzen im E-Commerce-Sektor sichtbar wurden. Auf der anderen Seite gab es jedoch auch zahlreiche Anzeichen, die das durchaus positive Marktsentiment auf den Vermietungsmärkten widerspiegeln: Hierzu zählte in erster Linie das sehr gute Ergebnis beim Flächenumsatz, das u. a. durch die sukzessive Nachvermietung zahlreicher bereits länger leerstehender Shops sowie drohender Leerstandsflächen erzielt wurde. Positiv sind darüber hinaus auch die Entwicklungen im Segment der Spitzenmieten zu werten, in dem sich die Stabilisierungstendenzen, die bereits im Vorjahr eingesetzt haben, weiter verfestigen konnten. Teilweise sind in einzelnen vorwiegend luxusorientierten Top-Lagen sogar wieder leichte Aufwärtstrends erkennbar. Diese und weitere Entwicklungen auf dem bundesweiten Retailmarkt hat BNP Paribas Real Estate auf Basis der wichtigsten Einzelhandelskennzahlen für das Gesamtjahr 2023 analysiert.
Höchster Flächenumsatz seit 2019, Fashion und Großflächen mit besten Resultaten seit 2016
Mit einem Retail-Flächenumsatz von rund 540.000 m² in deutschen Citylagen konnte die innerstädtische Einzelhandelslandschaft das beste Vermietungsvolumen seit 2019 erreichen und damit die Vorjahresresultate der Jahre 2020 (420.000 m²; +29 %), 2021 (470.000 m²; +15 %) und 2022 (390.000 m²; +37 %) jeweils deutlich übertreffen. Als die entscheidendsten Treiber für das sehr gute Ergebnis sind hierbei insbesondere die umfangreichen Neupositionierungsprozesse im Fashionsegment (anteilig 43 %), die hohen Vermietungsimpulse in ehemaligen (Galeria-)Kaufhäusern (anteilig 24 %) sowie das sehr lebhafte Marktgeschehen im Großflächensektor ab 1.000 m² (anteilig 56 %) zu nennen. Auch wenn das Zahlenwerk insgesamt zuversichtlich stimmt, ist zu beachten, dass der sehr hohe Flächenumsatz durch einige Sondereffekte in der Angebotsstruktur getrieben wurde, die sich insbesondere durch die dynamischen Entwicklungen in der Kaufhaussparte ergeben haben und in dieser Form nicht jedes Jahr zu wiederholen sind. Eine stimulierende Wirkung auf die Nachfrage hatte darüber hinaus auch das im Vergleich zu 2019 deutlich gesunkene Mietpreisniveau und die erhöhte Kompromissbereitschaft auf Seiten der Eigentümer in puncto Vertragsgestaltung und Risikobeteiligungen. Ohne diese Rahmenbedingungen wäre ein derartig lebhaftes Vermietungsgeschehen nicht möglich gewesen. Zahlreiche Neuvermietungen und Eröffnungen gab es im Jahr 2023 aber auch außerhalb des Großflächensegmentes zu vermelden: Insgesamt fiel die Zahl der Abschlüsse in den Flächenkategorien bis 1.000 m² rund 10 % höher aus als im Vorjahr, was neben dem Gesamtvermietungsvolumen als weiteres positives Signal für den bundesweiten Retailmarkt gewertet werden kann.
A-Städte bleiben im Fokus der Nachfrage und erzielen im langjährigen Vergleich eine Top-Bilanz
Von den hohen Nachfrageimpulsen im Jahr 2023 haben in erster Linie die Top-Märkte2 profitiert, die mit einem Flächenumsatz von insgesamt fast 160.000 m² das beste Resultat seit 2018 (rund 170.000 m²) verbuchen und sich rund 16 % über ihrem Durchschnittwert der letzten 5 Jahre einordnen. Auch hierbei hatte mit der Vermietung an das Modehaus Aachener im ehemaligen Karstadt an der Frankfurter Zeil (27.000 m²) ein außergewöhnlich großer Abschluss entscheidende Auswirkungen auf das Gesamtergebnis sowie das Städte-Ranking der wichtigsten Shoppingmetropolen. Somit schiebt sich die Mainmetropole, die auch ohne die Kaufhaus-Nachvermietung ein gutes Resultat erzielt hätte, mit einem Flächenumsatz von rund 41.000 m² im Städtevergleich an die Spitze. Wieder einmal die mit Abstand meisten Innenstadtvermietungen (knapp 70 Abschlüsse) und ein ebenfalls gestiegenes Volumen verbucht jedoch auch die Hauptstadt Berlin (rund 38.000 m²). In den Citylagen von Düsseldorf (rund 26.000 m²) und Hamburg (rund 21.000 m²) wurden 2023 in einem vergleichbaren Umfang Retail-Flächen neu vermietet bzw. eröffnet, wobei in der Hansestadt die zweitmeisten Verträge nach Berlin in die Auswertung miteingeflossen sind (fast 50 Deals). Dahinter folgen Köln mit einem vergleichbaren Ergebnis wie im Vorjahr (rund 14.000 m²) und München, wo zwar der Flächenumsatz, nicht aber die Anzahl der Abschlüsse niedriger ausfiel als 2022 (rund 10.000 m² und über 40 Vermietungen). Unter der 10.000-m²-Marke ordnet sich schließlich nur noch Stuttgart ein, wo rund 7.000 m² neu vergeben werden konnten.
Hoher Flächenumsatz wird trotz weiterhin guter Nachfrage im Jahr 2024 schwer zu erreichen sein
Zusammenfassend haben sich im Jahr 2023 sehr gegensätzliche Entwicklungen auf dem Retailmarkt abgezeichnet. Auf der einen Seite stehen hierbei die zahlreichen Einzelhandelsunternehmen, die Insolvenz anmelden mussten und Filialen aufgegeben haben. Auf der anderen Seite gab es jedoch auch eine Vielzahl von Retailern, die die veränderte Angebotsstruktur für sich nutzen und ihre Umstrukturierungsprozesse oder sogar Expansionsbestrebungen weiter vorantreiben konnten. Darüber hinaus haben bereits viele Retailer in der Vergangenheit gezeigt, dass ein Insolvenzverfahren nicht das Unternehmensende bedeuten muss, sondern auch Chancen für einen Neuanfang bietet. Vor diesem Hintergrund lässt sich insgesamt zuversichtlich auf die Entwicklungen im Jahr 2024 blicken. Zwar wird ein derartig hoher Flächenumsatz wie im Jahr 2023 nur sehr schwer zu bestätigen sein, an der generell guten Nachfragesituation dürfte sich aus heutiger Sicht in der ersten Jahreshälfte jedoch zunächst nichts ändern.