ZU GAST IM WORKSPACE DER ZUKUNFT
„New Work“, „das Büro von morgen“ oder „der Arbeitsplatz der Zukunft“ – Trendwörter, zu denen bereits alles gesagt wurde? Sabina Blaeser aus dem Project Solutions-Team von BNP Paribas Real Estate hat Raphael Gielgen, Trendscout Future of Work bei Vitra, zum Thema „Büro der Zukunft“ interviewt. Mit ihm betrachten wir die Assetklasse Büro dieses Mal aus einer ganz anderen Perspektive.
Strategie kann man nur über die Zukunft denken – nicht aus der Gegenwart heraus.
Raphael, wie würdest Du Deine Tätigkeit als Future of Work Trendscout bei Vitra beschreiben? Was genau ist Deine Rolle?
Das wesentliche Momentum meiner Aufgabe ist es, Firmen, Kund:innen, Partner:innen, aber auch der ein oder anderen Organisation dabei zu helfen, gedanklich in eine andere Zeit zu kommen: Strategie kann man nur über die Zukunft denken – nicht aus der Gegenwart heraus. Zum einen verlassen wir oft den zeitlichen Kontext nicht, zum anderen auch nicht die Kategorie, in der wir uns befinden; bei Euch wäre das zum Beispiel die Kategorie Immobilienunternehmen. Die Herausforderung an dieser Stelle ist es, Kontext und Kategorie für einen Moment zu verlassen, denn nur über das große Bild stößt man auf wirkliche Opportunitäten oder auf Probleme. Das ist meine tägliche Arbeit.
Wie hat sich Deine Arbeit durch die Corona-Pandemie in den letzten Jahren verändert?
Wie bei jeder anderen Person auch, nur mit einer Ausnahme: Der oder die „normale Büroarbeiter:in“ hat die eigene Arbeit mit nach Hause genommen. Aus dem Zuhause wurde auf einmal das Büro, und die Arbeit wurde dort fortgesetzt. Meine Arbeit fand erst einmal gar nicht statt: Reisen, Vorträge und Workshops waren ausgesetzt. Das heißt, ich konnte nicht einmal eben etwas nach Hause verschieben. Das hat meine Arbeit richtig durchgeschüttelt, was, nachträglich betrachtet, aber völlig in Ordnung war.
Zudem habe ich bemerkt, dass das alte Arbeitssystem total „outdated“ war – diese Erkenntnis überraschte mich. Ich habe mich ja über sechs oder sieben Jahre massiv mit dem Thema des Headquarters und des Unternehmenscampus beschäftigt. Ich habe mir die neuesten Gebäude in allen Teilen der Welt angeschaut: Sei es Alnatura in Darmstadt, die neuen Google Offices Charleston East und Bay View oder Tencent in Shenzhen in China. Das alles hatte über Nacht auf einmal keine Gültigkeit mehr – also auf jeden Fall nicht mehr so, wie es davor war. Das hätte ich mir bis dahin nie vorstellen können.
Die Zukunft der Arbeit baut nicht auf New Work auf – New Work ist eine Perspektive, die man vor Augen haben muss.
Sehr spannend. Ich glaube, wir haben alle gemerkt, dass sich im Büroalltag etwas verändert hat und dass zuvor vieles aus alter Gewohnheit einfach so weitergelaufen ist. Was bedeutet New Work für Dich?
Die persönliche Perspektive ist eigentlich sehr einfach. Als ich vor 36 Jahren meine Lehre als Schreiner angefangen hatte, hat mein Vater zu mir gesagt: „Raphael, Du kannst machen, was Du willst, Hauptsache, es bereitet Dir Freude! Wenn es Dir keine Freude bereitet, dann kannst Du es direkt sein lassen.“ Ich finde, das drückt schon einen Teil der New-Work-Philosophie aus, und dieser Gedanke ist mir bis heute geblieben. Jetzt beschäftige ich mich damit professionell. Die Zukunft der Arbeit baut nicht auf New Work auf – New Work ist eine Perspektive, die man vor Augen haben muss. Ich finde, der stärkste Punkt, der uns die nächsten Jahre beschäftigen wird, ist das Maß an Freiheit und Souveränität, welches Mitarbeitende für sich beanspruchen. Das hat es zuvor so noch nie gegeben.
Bei Airbnb zum Beispiel hat man irgendwann im April 2022 festgestellt, dass Buchungen von 25 bis 30 Tagen enorm zugenommen haben und die Leute in den jeweiligen Destinationen keinen Urlaub machten sondern Workation. Brian Chesky, CEO von Airbnb, hat daraufhin seinen eigenen Mitarbeitenden freigestellt, wann und wo sie arbeiten. Und was ist dann passiert? Nach dieser Ankündigung im Netz haben eine Millionen Menschen sein Jobportal besucht. Das zeigt, wie tief das in uns Menschen drinsteckt, wie eine Art Sehnsucht. Um das noch einmal mit den Worten von Richard David Precht auf den Punkt zu bringen: In einer Arbeitsgesellschaft keine Arbeit zu haben, ist das eine, aber in einer Sinngesellschaft keinen Sinn zu finden, ist eine Katastrophe. Ich würde sagen, auf der einen Seite gibt es das Thema Sinn und auf der anderen die Freiheit und Souveränität. Das ist nicht mehr wegzudenken – unabhängig von Nationalität, Alter und Geschlecht eines Menschen.
In einem Interview sagst Du in Bezug auf herkömmliche Büroformen: „Verschwinden wird erst einmal nichts.“ Was bedeutet das genau? Und ist New Work immer „new“?
Es gibt überall auf der Welt bestehende Mietverträge – die verschwinden nicht so einfach. Es gibt ein Gebäude, das hat seinen Standort und ist real. Das ist keine Software, die irgendwo herumliegt. Und dann gibt es Menschen, die irgendwann einmal einen Vertrag eingegangen sind und das Gebäude mit Leben gefüllt haben. Das verschwindet nicht über Nacht, die Schreibmaschine ist auch nicht über Nacht verschwunden. Aber man bemerkt natürlich Bewegung.
Um auf die Frage zurückzukommen, ob New Work immer „new“ ist. Mal angenommen, Arbeit hat vier Dimensionen: Den Ort der Arbeit, der physisch oder virtuell sein kann, mit wem ich zusammenarbeite und woran und wie – dann findet die stärkste Veränderung am Ort statt. Diesbezüglich ist jetzt viel „new“, was beispielsweise die Tools angeht. Die Kolleg:innen sind die gleichen geblieben, dahingehend hat sich nicht viel verändert. Es gibt also Kategorien, die sind sehr statisch – ich nenne sie „gravities“. Sie haben in der Regel etwas mit den Menschen zu tun. Und dann gibt es Kategorien, die lösen sich komplett auf, wie zum Beispiel die Tools. Ich bin davon überzeugt, dass wir über Tools wie beispielsweise Microsoft Teams in drei oder vier Jahren müde lächeln werden.
Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Kannst du uns Beispiele aus Deiner Arbeit aufweisen?
Bei Vitra haben wir mit dem „Club Office“ letzten Sommer einen Ort geschaffen, der sich flexibel an wandelnde Bedürfnisse anpasst und dem Team Wertschätzung signalisiert. Es ist ein Ort des Ankommens, der informellen Zusammenarbeit und des Miteinanders. Dieses Konzept setzen wir aktuell bei vielen Firmen um, die sich nach der Pandemie gefragt haben, wie bzw. für welche Arbeit sie ihre Mitarbeitenden wieder ins Büro zurückholen.
Dann fällt mir als Beispiel noch der Film „The Mandalorian“ ein. Für den Dreh gibt es einen Raum, dessen Durchmesser vielleicht 35 Meter beträgt und der aus LED-Panels besteht. Das Studio ist wie ein Kino aufgebaut und die Wände lassen sich alle bespielen – mit einem Knopfdruck verändert sich die komplette Szenerie. Da fällt dir nichts mehr ein! Ich konnte mich gar nicht mehr sattsehen. Das ist für mich der Arbeitsplatz der Zukunft. Das soll nicht heißen, dass das ein Arbeitsplatz für uns alle ist, aber es ist auf jeden Fall einer der Zukunft. Ich glaube, demnächst werden große Firmen diese Art von Räumen haben, die auf Knopfdruck immersive Umgebungen schaffen können, die zu anderen Entscheidungen führen. Das wird passieren. Für diese Art von Film wurden keine neuen Technologien geschaffen, man hat aber Technologien neu kombiniert, und das ist Teil der Antwort, wie ein Arbeitsplatz der Zukunft aussieht: Die einzelnen Bestandteile sind etwas, das wir jetzt schon kennen, die bestimmte Kombination dieser Bestandteile ist am Ende jedoch etwas, das neu ist.
Wie nimmst Du das Zusammenspiel der einzelnen Markteilnehmenden (also Makler:innen, Immobilien-Entwickler:innen, Architekt:innen, Fachingenieur:innen, Nutzer:innen) wahr?
Das Zusammenspiel kommt auf jeden Fall zu kurz. Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne meinen Freund Dietmar Leyk zitieren. Er ist überzeugt von der sogenannten „Phase 0“, dem Teil der Projektentwicklung, in dem städtebauliche, organisatorische und finanziell nachhaltige Rahmenbedingungen gesteckt werden. Seine Theorie ist, dass die Phase 0, für die es oft kein Budget gibt, den Grundstein für alles legt: für die Verzinsung eines Gebäudes, für ein reduziertes Bauzeit-Fenster oder für die Integration des Gebäudes in der Welt. Ein „Zoom-out“ ist extrem wichtig, und wenn man es richtig macht, führt das dazu, dass unterschiedliche Akteur:innen in unterschiedlichen Intervallen miteinander zu tun haben oder überhaupt an Dingen zusammen arbeiten. Das würden sie ohne dieses Zoom-out vermutlich nie machen.
Ich würde sagen, die „Phase 0“ ist die Zauberwaffe – der Reisepass in eine neue Zeit.
Wenn Du könntest, was würdest Du Immobilienunternehmen für die Zukunft an die Hand geben?
Ich bewundere wirklich, wie viele Sachen man gleichzeitig im Kopf haben muss, wenn man in der Immobilienwirtschaft arbeitet. Nimmt man nur einmal das „Pflichtenheft“, d.h.: TÜV, Gesetzeslage, ESG, Taxonomie etc. – da ist ja eigentlich gar kein Platz mehr für das kreative Moment vorhanden. Mein Ratschlag wäre daher, sich unbedingt in die Phase 0 zu begeben, ein Zoom-out zu machen, den Status Quo zu verlassen. Ich würde sogar empfehlen, das einmal pro Jahr mit dem Management durchzuführen. Nach ein paar Jahren bekommt man damit ein besseres Gefühl, in welche Richtung ein Unternehmen geht. Ich würde sagen, die Phase 0 ist die Zauberwaffe – der Reisepass in eine neue Zeit. Natürlich kann ein Zoom-out auch weh tun: Produkte, die zuvor vielleicht angesagt waren, verlieren auf einmal ihre Bedeutung, müssen neu überdacht werden.
Sind Deine Work Panoramas und die „WHAT IF (…)“-Fragen auf eine ähnliche Weise entstanden?
Ehrlicherweise war das Panorama ein Unfall. Vitra hat sich ja schon immer mit dem Thema „das Büro von morgen“ beschäftigt. Seit 1988 gibt es das Magazin „Workspirit“, das sozusagen ein Projekttagebuch zum Thema Arbeit ist. Das Panorama war zuerst eine Art Sammlung von ganz vielen Konfettis, quasi die Headlines von Artikeln, die wir einfach auf ein großes Papier geklebt haben. Da haben wir erst gemerkt, wie wichtig es ist, im großen Bild zu denken. Das Modell hat sehr schnell Zuspruch gefunden und sich etabliert.
Finden Sie hier die WHAT IF-Fragen als Poster in deutscher und englischer Version:
Wir haben uns aus den „Was-wäre-wenn-Fragen“ vier Fragen herausgesucht, die uns als Immobilienunternehmen besonders interessieren und die wir Dir gerne heute stellen möchten:
Frage 10: Was wäre, wenn Arbeitsplätze, die eine nachhaltige Lebensweise fördern, im Mittelpunkt des 21. Jahrhunderts stehen würden?
Angenommen, der Weg zu diesem Ort der Arbeit und das, was dort stattfindet, würde Dich gesund machen. Angenommen, diese Orte der Arbeit wären „Super-Retreats“. Das wäre so, als ob Du an den Tegernsee oder nach Sylt fährst – also ich überzeichne das gerade, aber wie toll wäre das?
Frage 28: Was wäre, wenn kognitive Gebäudelösungen die Möglichkeit böten, den Energieverbrauch besser zu verwalten, die Betriebskosten zu senken, die Raumnutzung zu optimieren und die Planung und Verwaltung von Immobilien zu vereinfachen?
Ich würde sagen, das ist eine „Was-wäre-wenn-Frage“, die jeder und jede unterschreibt. Es gibt bereits unterschiedliche Referenzpunkte, die die Vorstellungskraft in diesem Zusammenhang anreichern. Ich kann mir vorstellen, dass es zum Beispiel bei der Konzeption des EDGE in Berlin Gedanken gibt, die noch viel weiter darüber hinaus gehen, was wir bereits kennen. Ich gehe auch davon aus, dass Architekt:innen viel weiter sind, als wir denken – nur dass im Moment deren Vorstellungskraft die Umsetzbarkeit sprengt. Mir fallen dazu beispielsweise Unternehmen wie „nabr“ ein, die auf die Mitbestimmung des Einzelnen beim Bau nachhaltiger Wohnimmobilien setzen und nicht an das Prinzip One-size-fits-all glauben.
Frage 30: Was wäre, wenn der Campus oder der Hauptsitz zu einem Gravitationszentrum für neue flexible, vielseitige und urbane Gemeinschaftsstrukturen würde?
Ja, das wäre toll. Dann hätten wir viel mehr lebensbejahende Arbeitsquartiere, die sehr wahrscheinlich auch über die Arbeitszeit hinaus ein echter Lockstoff für eine Nachbarschaft wären.
Frage 32: Was wäre, wenn Räume die Fähigkeit hätten, Traditionen, Werte, Mythen und Symbole, die in Unternehmensgemeinschaften üblich sind, zu verankern?
Die Kunst, die Religion und auch die Kultur haben uns gelehrt, dass das möglich ist. Wenn ich manchmal das Glück habe, in alte Industrieareale hineinzukommen, dann erstarre ich vor Ehrfurcht. Ich finde, es ist zwingend erforderlich, dass eine Verbindung zum Unternehmen geschaffen wird; die Gemeinschaft mit Kolleg:innen ist wichtig, reicht aber allein nicht aus.
Eine Frage zum Abschluss: In einem Interview sagst Du: „Wir haben zwei Jahre lang ertragen, ausgehalten und angenommen. Jetzt ist es an der Zeit, die Zukunft zu gestalten“ Welche Zukunftsvisionen oder Trends kannst Du uns für den Office-Bereich bereits aufweisen?
Das ordnet sich alles dem Begriff Remote First unter: Die Unternehmen haben die Phasen Mobile First und später Cloud First erfolgreich etabliert. Sprich, die Geschäftsmodell-Transformation konnte nur stattfinden, weil man in dieser Art eines Ökosystems gedacht hat. Das Ökosystem Remote First bedeutet nicht, dass man kein Büro mehr hat, sondern, dass es für deine Firma keine Rolle spielt, an welchem Ort die Kolleg:innen sind. Das dient dazu, dass du in einer Zeit wie dieser als Unternehmen bestehen kannst.
Das Büro als Begrifflichkeit wird es nicht mehr geben, das löst sich auf. Die zentrale Frage dabei ist: Wie kann man das Büro neu denken, sodass es keine lineare Fortführung der alten Idee ist? Wie gesagt, das ist etwas, was nicht von heute auf morgen passiert – so stand in Unternehmen lange Zeit auch noch eine Schreibmaschine herum, an der noch dieses „eine Formular“ ausgefüllt werden musste.
Dieser Artikel ist Teil des CHANGE Magazins 05
CHANGE Magazin: Erfahren Sie mehr über die fünfte Ausgabe
Dieser Artikel basiert auf einem Interview mit Raphael Gielgen vom 5. Juli 2022.
Fotos/Visualisierungen: Vitra: Eduardo Perez; Dejan Jovanovic / Stephanie Wagner-Heinrichs