VALLEY – VISIONÄRE ENTWICKLUNG IN AMSTERDAM
Atemberaubend, voller Grün und in ihrer Rauheit verstörend erheben sich die Türme des Valley über Amsterdams Financial District. Die zukunftsweisende Projektentwicklung von Edge könnte auch deutsche Großstädte inspirieren.
Namensgebend für Valley waren die eindrucksvoll terrassierten Fassaden, die den Eindruck einer modernen Berg- und Tallandschaft vermitteln. Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude mit seinen drei Türmen und kantigen Balkonen tatsächlich wie eine zerklüftete Felsformation inmitten der glatten Glasfassaden im Central Business District (CBD) Amsterdams. Teile des Äußeren bilden eine einzigartige, öffentliche Landschaft, die auch das Innere des Gebäudes für die Außenwelt öffnet. Der Architekt Winy Maas stellt bewusst die Frage: Wo endet das Gebäude, und wo beginnt die Natur? Diesen Effekt erzielt er vor allem mit über 13.000 Pflanzen, die das Gebäude begrünen. Die Macher sprechen von einer „grünen Explosion“.
Zukunftsweisende Projekte erfordern Mut …
Nur fünfeinhalb Jahre dauerte es von der Ausschreibung bis zur Fertigstellung des 75.000 m² großen Projekts. Im Gespräch mit Coen van Oostrom, dem Gründer des führenden nachhaltigen Projektentwicklungsbüros Edge, blickt die Redaktion des City Reports hinter die Fassade dieses außergewöhnlichen Gebäudes. „Die größte Herausforderung bestand darin, mit einem ambitionierten, wenn nicht gar verrückten Entwurf in den Wettbewerb zu gehen. Und diesen nach dem Zuschlag tatsächlich realisieren zu müssen. Da schlägt man als Entwickler hart auf dem Boden der Realität auf“, äußert sich der sympathische Coen van Oostrom. Denn die Stadt Amsterdam wollte den Entwurf des international erfolgreichen Architekten Winy Maas vom Architekturbüro MVRDV bis ins kleinste Detail realisiert sehen. Beginnend bei den Balkonen über die Blickachsen bis hin zu den Materialien. „Natürlich hatten wir zwei Monate lang intensiv an einem Wettbewerbsentwurf gearbeitet, aber nicht jedes Detail exakt definiert“, erklärt der Projektentwickler. Auch während des gesamten Prozesses musste das Team kontinuierlich die Erwartungen der städtischen Verantwortlichen mit dem tatsächlich entstehenden Gebäude abgleichen. Ein komplexes Unterfangen.
… und Durchhaltevermögen.
Nach sechs Jahren beschreibt Coen van Oostrom das Projekt dennoch als guten Lauf – vom Start bis zur Ziellinie. Leichte Verzögerungen gab es lediglich zu Baubeginn: Als die ersten Pfähle gesetzt waren, musste man das Gebäude wegen eines Berechnungsfehlers um einen Meter verschieben. Und am Ende schlug die Pandemie zu. Coen von Oostrom erinnert sich: „Unsere Materialbeschaffung funktionierte nicht mehr. Die Steine für die Außenfassade stammten aus einem spanischen Steinbruch. Übrigens das gleiche Material, das zum Bau der Sagrada Familia in Barcelona verwendet wird. Dann wieder fehlte Dachmaterial aus Norditalien.“ Trotz Ausnahmesituation pochten einige der zukünftigen Mieter:innen auf ihre Verträge und machten Druck bei der Fertigstellung. „Diesen wollten wir aber nicht weitergeben, weil sich die Lieferanten in einer ohnehin schon schwierigen Situation befanden. Da fragt man sich, wo das Zwischenmenschliche bleibt“, äußert sich van Oostrom kopfschüttelnd. Betrachte man die Komplexität des Projekts, grenze es an ein Wunder, dass Valley fast planmäßig fertiggestellt wurde. Nur für die Begrünung war das Team einfach zu spät – die Pflanzzeit war vorbei. „Die ‚grüne Explosion‘ musste noch bis zur großen Eröffnung im Sommer 2022 warten“, so van Oostrom.
Mehr als ein atemberaubendes Äußeres
Die Macher des Projekts vertreten die Meinung, dass die Stadt der Zukunft eine lebendige wie lebenswerte City sein muss. Weg von langweiligen Klötzen. „Natürlich gibt es gelungene Architekturkonzepte. Aber bei den wenigsten entsteht ein Wow-Effekt. Es fehlt das Spektakuläre. Bei Valley ist das anders: Jeden Tag fahren Menschen staunend daran vorbei. Sie filmen und posten. Valley inspiriert einfach“, schmunzelt der Projektentwickler. Aber noch wichtiger seien die Menschen – im Gebäude und in der unmittelbaren Umgebung. Sie würden, so van Oostrom, diese besondere Architektur mit der Zeit als Teil ihres Alltags sehen. Aber die verbindende Funktion des Gebäudes entfalte seine Wirkung weit über das erste Staunen hinaus. So betritt man bei Valley eine Stadt in der Stadt. Zwei imposante Treppenaufgänge führen zum zentralen Atrium. „The Grotto“ (ital. Grotte / Höhle) ist das Herzstück des Gebäudes. Über das helle Atrium entdecken Besucher:innen Restaurants oder Kaffeebars, Angestellte gehen ins Büro, Bewohner:innen nutzen Sportmöglichkeiten oder den Pool. Sogar einer der ältesten Fußballclubs der Niederlande, der AFC, konnte seine neuen Räumlichkeiten in das Gebäude verlegen. Nicht zuletzt wird der Top Floor mit einem Club für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Van Oostrom erklärt: „Das Projekt profitierte von den Erfahrungen aus dem Glencore Rotterdam Building. Dort standen die einzelnen Nutzungsarten für sich allein: ein großer Block Office neben einem großen Block Residential. Ein Miteinander konnte nicht geschaffen werden.“ Deshalb versuchten Architekten und Entwickler bei Valley, die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse miteinander zu verweben: die der Office-Mieter:innen ebenso wie die der Bewohner:innen, der Restaurantbesitzer, aber auch die der Öffentlichkeit. „Das Gebäude ist so konzipiert, dass Nutzer:innen sich konsequent durchmischen“, erklärt der Entwickler.
Valley erhielt seinen Namen aufgrund seiner beeindruckenden terrassenförmigen Fassaden.
Assetklassen neu denken
Unterschiedliche Funktionen in einem Gebäude werden selten realisiert. Warum? „Das liegt am Schubladendenken. Wer in Büro investieren will, realisiert ein Projekt in großem Umfang am Standort A. Für Residential wird dann Standort B gewählt. Es gab bislang wenig institutionelle Investoren, die verschiedene Funktionen in einem Gebäude präferieren“, so van Oostrom aus seiner Erfahrung. Aber das ändere sich. Auch weil Asset Manager merkten, dass spektakuläre Mixed-Use-Gebäude zu deutlich höheren Mieterträgen führen könnten. Deshalb sei er der Ansicht, dass dies das Konzept der Zukunft sein könnte: faszinierende Architektur und verbindende Funktionen in einem Gebäude. Eine neue gemischte Assetklasse. Die multiple Nutzung von Valley könne man übrigens beliebig weiterdenken: vom klassischen Hotel über Serviced Apartments bis hin zu Co-Working-Spaces. All diese Überlegungen werden in Valley2.0 eingehen, ist Coen van Oostrom überzeugt.
Weiterdenken: Nachhaltigkeit
Valley fasziniert auf den ersten Blick mit seiner Architektur, überzeugt langfristig mit seinen unterschiedlichen Funktionalitäten und setzt Standards beim Thema Nachhaltigkeit. „Das Gebäude punktet durch viele nachhaltige Details und Materialien. Insgesamt ist das Energiemanagement bemerkenswert“, so van Oostrom, „Edge hat sein Ziel erreicht, ein äußerst nachhaltiges Gebäude in Amsterdam zu errichten. Das Gebäude weist nicht nur ein hohes GPR-Gebäudeergebnis (8) und einen negativen EPC-Wert (-0,3) auf, sondern soll auch bald ein BREEAM Excellent-Zertifikat für Büros erhalten.“ Er erzählt, dass der Investor zusätzlich investierte, um ein Best-in-Class- Gebäude zu realisieren.
Zukunftsorientierte Entwicklungen
In der CBD-Area Amsterdams sind traditionell Banken beheimatet. ABN Amro sitzt beispielsweise noch in nächster Nachbarschaft, wird aber künftig seinen Platz räumen. Das wiederum lässt Raum für eine neue, diversere Entwicklung: Start-ups siedeln sich nun hier an, Dienstleister wie Technologieunternehmen kommen hinzu. „Die alte Business-Welt trifft auf die neue“, so der Projektentwickler. Er nennt es die introvertierte Gebäudearchitektur, die dazu führte, dass das Viertel an den Wochenenden wie ausgestorben wirkte. Erst als die Stadt Wohnbau links und rechts initiierte, verbesserte sich die Situation. „Trotzdem blieb es ungemütlich“, findet van Oostrom. „Für die Stadtentwicklung hat Valley fast metaphorische Wirkung: ein verbindendes Element zwischen lebendiger Architektur und technokratischer, kalter Umgebung. Das Gebäude besitzt einerseits Glasfassaden, die zum Umfeld passen. Auf der anderen Seite öffnet es sich mit seinem felsartigen Aussehen und dem vielen Grün seinen Besucher:innen. „Auf der einen Seite der Blick auf das, was war, auf der anderen Seite auf das, was kommen wird“, so der visionäre Entwickler.
Keine Vision in Deutschland?
„Zugegeben, ein Projekt wie Valley ist in Deutschland nicht so leicht zu realisieren“, erklärt van Oostrom mit einem Blick von außen. „Typischerweise wird die Bauordnung sehr streng ausgelegt. Hier ist ein Areal für Wohnbau, dort für Büros. Bei Plänen zu gemischten Nutzungen heißt es häufig: ‚Das geht nicht‘. Niederländer sind da deutlich flexibler.“ Von Projektentwicklern erwarte man, dass sie mit ihren Ideen vorangehen, Dinge wagen und Grenzen verschieben. Das gelinge aber kaum im Umfeld einer deutschen Großstadt. Die zweite Herausforderung: Während Edge in den Niederlanden mit einem eignen Architekten in den Wettbewerb ging, ist das Prozedere in Deutschland kompliziert. Nach der Ausschreibung folgt der Architektenwettbewerb. Die Stadt entscheidet mit dem Entwickler über den Entwurf. „Ich glaube, so hätte Valley nie entstehen können“, schüttelt der Vorreiter bedauernd den Kopf. Er empfindet die strikte Regulierung als nicht mehr zeitgemäß und plädiert für eine Liberalisierung: „Warum nicht eine Bandbreite vorgeben? Mit klaren Linien, die nicht überschritten werden dürfen, uns aber bei den Nutzungen Freiheit lassen.“
Wäre ich Bürgermeister von Frankfurt oder Berlin, würde ich ein großes Areal für eine internationale Bauausstellung zur Verfügung stellen. Den Entwicklern freie Hand lassen und bitten, mit den Entwürfen zu überraschen.
SMART CITY
In einer smarten City werden Daten und Informationen über alles gesammelt, was in dieser Stadt passiert, und Schlüsse daraus gezogen. Das beginnt beim Licht über den Verkehr bis hin zum Energie-, Gesundheits- oder Abfall-Management. Technologie kann dabei helfen, Städte benutzerfreundlicher, das heißt lebenswerter zu gestalten. Das Menschliche darf bei allem Effizienzdenken nicht auf der Strecke bleiben. Damit das in der Praxis gelingt, sollte man nicht Gebäude für Gebäude denken, sondern einen Masterplan für die Stadtentwicklung erarbeiten. Ein Beispiel, das eher den Stadtrand betrifft, ist Lichtverschmutzung oder Lichtsmog. Es wäre ein Leichtes, die Beleuchtung auszuschalten, wenn sich niemand auf der Straße befindet. Ein Sensor schaltet das Licht erst an, wenn Fußgänger:innen, Radfahrende oder Autos die Stelle passieren. Dadurch ließen sich Ressourcen und Kosten einsparen. Gleichzeitig würden Vögel zurückkehren, die nicht mehr durch das Licht geblendet werden. Wie wäre es, große Unternehmen wie etwa Osram einzuladen, Lösungen für solche Konstellationen zu finden? Die Einsparungen der Energiekosten könnte in diesem Fall die Installation der Sensoren finanzieren. Für diese Art von Gedankenaustausch sollte es einen offenen Ort, einen Think Tank, in jeder Stadt geben.
Frankfurt in die Zukunft denken
„Jede Großstadt braucht verbindende, einladende Gebäude. Realisierbar wäre unser Konzept vielleicht in Hamburg oder Berlin, wenn man die Verfügbarkeit von Flächen betrachtet. Auch wenn Berlin gerade ein sehr politischer Markt ist“, so van Oostrom. Er sieht Potenzial überall dort, wo die Einteilung in Bauzonen gelockert werden kann. Die Idee aus Amsterdam ließe sich beispielsweise auf Frankfurt übertragen. „Ich denke, der interessanteste Teil der Mainmetropole ist gleichzeitig der schlimmste: das Areal rund um den Hauptbahnhof. Tritt man vor das historische Bahnhofsgebäude, sieht man deutlichen Entwicklungsbedarf. Eine innerstädtische Lage, die unter ihren Möglichkeiten bleibt. Hier sollte mehr Wow-Effekt als Bäh-Erlebnis entstehen. Die Innenstadt ist mir am Abend, nach den Bürozeiten, persönlich noch zu leer. Das könnte man beleben“, denkt der Entwickler in die Zukunft. Letztendlich muss man Projekte wie Valley live erleben. Im Grotto die Lebendigkeit eines Marktplatzes spüren. Sich in der Roof-Top-Bar den Wind um die Nase wehen lassen. Nur, wer den Zeitgeist und die Zukunftsperspektiven für Menschen im urbanen Umfeld antizipiert, kann erfolgreich Stadtentwicklung betreiben. „Deshalb möchten wir Verantwortliche aus Großstädten wie Hamburg oder Berlin einladen, Valley zu besuchen. Wenn wir zeigen, was möglich ist, können wir miteinander in einen Dialog treten“, äußert sich Coen van Oostrom optimistisch.
Das Architekturprojekt Ben van Berkels zeigt, was möglich ist, wenn man große, innerstädtische Areale neu denken darf. Wenn Entwickler und Stadt an einem Strang ziehen. Beim FOUR wird der Trend zur gemischten Nutzung sichtbar.
Dieser Artikel ist Teil der Reihe City Report Wohnimmobilien
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Dieser Artikel basiert auf einem Interview vom 27.01.2022.
Autorin: Michaela Stemper
Fotos: Marcel Steinbach / EDGE