Nachdem bereits der Jahresauftakt auf dem deutschen Wohn-Investmentmarkt deutlich verhaltener als noch im Vorjahr ausgefallen ist, hat sich dieser Trend im Laufe des zweiten Quartals fortgesetzt. Im ersten Halbjahr 2022 wurden bundesweit gut 7 Mrd. € in größere Wohnungsbestände (ab 30 Wohneinheiten) investiert. Rund 3 Mrd. € entfallen dabei auf das zweite Quartal. Gegenüber dem Halbjahresergebnis aus dem Rekordjahr 2021 entspricht dies einem Rückgang um knapp 30 %. Auch der langjährige Durchschnitt wurde um 19 % verfehlt. Dies ergibt eine Analyse von BNP Paribas Real Estate.
„Die Haltung vieler Investoren ist in den vergangenen Monaten nicht zuletzt aufgrund der nun von der EZB eingeläuteten Zinswende deutlich abwartender geworden. Die steigenden Finanzierungskosten führen dazu, dass viele Anleger laufend gezwungen sind, neu zu kalkulieren. Dies spiegelt sich in einem gewissen Umfang natürlich auch im Investmentvolumen wider. Nichtsdestotrotz konnten für das zweite Quartal insgesamt rund 80 Transaktionen registriert werden, was im langjährigen Vergleich ein überdurchschnittlicher Wert ist. Zudem verdeutlicht ein genauerer Blick auf die Zahlen, dass bisher zwar weniger Großdeals als in den Vorjahren abgeschlossen wurden, dafür aber deutlich mehr Bewegung im kleinen und mittleren Größensegment stattfindet. Im Bereich bis 100 Mio. € schlägt mit einem Volumen von mehr als 4,3 Mrd. € dadurch gar das zweitbeste Resultat der letzten 10 Jahre zu Buche. Von einem Stillstand auf dem Wohninvestmentmarkt, wie er in den ersten Wochen der Corona-Pandemie zu beobachten war, sind wir also weit entfernt“, erläutert Christoph Meszelinsky, Geschäftsführer und Head of Residential Investment der BNP Paribas Real Estate GmbH.
Projekte mit höchstem je registrierten Umsatzanteil, Spezialfonds weiter stärkste Käufergruppe
Die Verteilung des Investitionsvolumens auf die einzelnen Assetklassen zeigt aktuell ein ungewohntes Bild. Während in den Vorjahren zumeist mit deutlichem Abstand Bestandsportfolios an der Spitze des Rankings lagen, tragen sie im ersten Halbjahr 2022 nur gut 16 % zum Volumen bei. Zum einen macht sich hier das Ausbleiben von großen Unternehmensübernahmen und zum anderen die geringe Anzahl an großvolumigen Paketverkäufen bemerkbar. Deutlich dynamischer präsentierte sich der Markt demgegenüber im Projektsegment, was sich immer noch auf den über die letzten Jahre sukzessive aufgebauten Produktmangel im Bestand zurückführen lässt. Mit einem Umsatzanteil von 38 % dominierten Projektentwicklungen und Forward Deals im ersten Halbjahr nicht nur den Markt, sie erzielten auch ihr bisher anteilig stärkstes je registriertes Ergebnis. „Angesichts des aktuellen Zinsumfelds und der deutlich gestiegenen Baupreise sind die Kosten für Neubauprojekte allerdings immer schwerer zu kalkulieren. Für die Marktteilnehmer stellt sich daher die Frage, wer die steigenden Risiken letztlich trägt und wie sich dies auf die Preise auswirkt. Die Vertragsverhandlungen zwischen Investoren und Projektentwicklern dürften sich in den kommenden Monaten somit deutlich schwerer gestalten als noch zu Jahresbeginn. Ob also Projekte auch zum Jahresende noch so große Anteile am Investitionsvolumen haben, bleibt vorerst abzuwarten“, stellt Meszelinsky fest.
Mehr als 2,2 Mrd. € wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres von Spezialfonds in Wohnimmobilien investiert. Damit liegen sie aktuell im Ranking der Käufergruppen an der Spitze. Dass zudem mit anteilig 27 % Investment Manager (bei denen das dahinterstehende Investmentkonstrukt nicht eindeutig bekannt ist) auf dem zweiten Rang folgen, belegt eindrücklich, dass Wohninvestments weiter zu den beliebtesten Anlageklassen vieler Institutioneller Investoren zählen. Ebenfalls nennenswerte Umsatzanteile entfallen zudem auf Immobilienunternehmen (9 %) und offene Fonds (8 %).
Trendwende bei Renditen, Investmentvolumen in den A-Standorte leicht über langjährigem Schnitt
Der Wandel bei den Finanzierungsbedingungen wird mittlerweile zunehmend auch in der Entwicklung der Yields sichtbar. So sind die Netto-Spitzenrenditen für Neubauobjekte im ersten Halbjahr erstmals seit der Finanzkrise flächendeckend gestiegen. In den deutschen A-Standorten bewegt sich der Anstieg seit Jahresende 2021 im Bereich von 15 bis 20 Basispunkten. Am teuersten ist weiterhin München (2,55 %), gefolgt von Stuttgart (2,60 %), Berlin (2,60 %) und Hamburg (2,70 %). Köln und Düsseldorf liegen jeweils bei 2,75 %. Ein wenig differenzierter fällt die Entwicklung in vielen B-Städten aus. Während beispielsweise in Dresden (3,10 %) ebenfalls ein Anstieg um 20 Basispunkte verzeichnet werden konnte, fällt dieser in Leipzig (2,90 %) mit 10 Basispunkten moderater aus.
Der Anteil der A-Städte am gesamten Investitionsvolumen liegt genau wie im Vorjahr bei knapp 49 %. Damit wurden in den sieben größten deutschen Städten rund 3,45 Mrd. € investiert, was ein Wert leicht über dem langjährigen Durchschnitt darstellt. Wie gewohnt entfällt auf Berlin mit 1,43 Mrd. € das höchste Volumen. In Hamburg konnte mit 1,17 Mrd. € nach 2015 das zweitbeste Halbjahresresultat in der langjährigen Betrachtung verzeichnet werden. Ein überdurchschnittliches Ergebnis ist auch für Frankfurt (435 Mio. €) zu vermelden.
Perspektiven
„Die in den letzten Jahren herausragende Performance der Wohn-Investmentmärkte in Deutschland lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Investoren die Sicherheit und Stabilität an der Assetklasse schätzen. An beiden Faktoren hat sich in den letzten Monaten nichts fundamental geändert. Aufgrund der geänderten Finanzierungsbedingungen und der Lage am Finanzmarkt befinden wir uns nichtsdestotrotz vorerst in einer Preisfindungsphase, in der Verkäufer und Käufer sich zuerst auf ein neues Niveau einigen müssen, das für beide Seiten tragbar ist. Dieser Prozess dürfte erfahrungsgemäß einige Monate in Anspruch nehmen und sich schrittweise vollziehen. Am wahrscheinlichsten erscheint aktuell, dass sich die Renditen je nach Standort stärker ausdifferenzieren und insgesamt weiter nach oben bewegen. Für eine seriöse Aussage darüber, bei welchem Niveau sie sich schließlich einpendeln werden, fehlt uns aktuell in der Breite noch die Evidenz. Wir sind aber zuversichtlich, dass das Transaktionsgeschehen bis zum Jahresende wieder an Fahrt gewinnt“, fasst Christoph Meszelinsky die weiteren Aussichten zusammen.