HAMBURG – DEUTSCHLANDS BID-HAUPTSTADT
Eigentlich verabreden wir uns mit Heiko Fischer, Niederlassungsleiter bei BNPPRE am Standort Hamburg, und Julia Huber, Director National Retail Advisory, am Neuen Wall, um über Luxus und Retail in der Hansestadt zu sprechen. Doch als wir über die breiten Gehwege schlendern und die Sauberkeit und Eleganz des Quartiers bewundern, fällt immer wieder ein Akronym, mit dem wir auf Anhieb erstmal nichts anfangen können: BID oder auch „Business Improvement District“. Spontan ändern wir unsere Pläne und landen mit den beiden im Café Ponton mit einer traumhaften Sicht aufs Wasser und sprechen darüber, wie Hamburg es geschafft hat, Bereiche, Quartiere und Straßenpassagen aufzuwerten und was es genau mit dem BID auf sich hat.
Was ist ein BID?
Noch bevor die Heißgetränke bestellt werden, bombardieren wir Heiko Fischer mit mehreren Fragen, die er ausführlich beantwortet: „2005 wurde das Modell der Business Improvement Districts in Hamburg eingeführt und bereits wenige Monate später wurden das BID Sachsentor und das BID Neuer Wall eingerichtet.“ Julia Huber ergänzt: „Damit war die Freie und Hansestadt Hamburg das erste Bundesland, das auf dieses Konzept setzte. Und das mit Erfolg – mittlerweile gibt es knapp 40 weitere BIDs sowohl in der Hamburger Innenstadt als auch in zahlreichen weiteren Ortszentren.“ Diesem Vorbild sind in den letzten knapp 20 Jahren mehrere Regionen gefolgt: Berlin, Bremen, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein. Dabei findet man die Business Improvement Districs in Städten wie beispielsweise Berlin, Bremen, Fulda und Gießen sowie Gütersloh, Köln und Wuppertal. Warum wir Frankfurter:innen das Akronym BID nicht kannten, wird schnell klar. In anderen Bundesländern haben die Gebiete andere Namen. So heißen diese in Schleswig-Holstein PACT, Berlin und Nordrhein-Westfalen setzen auf die Bezeichnung Immobilien- und Standortgemeinschaft, kurz ISG, während man bei uns in Hessen vom Innerstädtischem Geschäftsquartier (INGE) spricht.
So viele verschiedene Namen für ein Konzept, wie kommt das und woher kommt der Gedanke des BIDs? Heiko Fischer lacht und erklärt „Leider ist es keine Hamburger Erfindung. Das erste BID gab es bereits 1970 im kanadischen Toronto.“ An dieser Stelle müssen wir kurz unterbrechen und uns der Karte widmen, da der Kellner auf unsere Bestellung wartet.
In Eigenorganisation zum Erfolg: Innovationsbereiche in Hamburg
Als die Heißgetränke und das obligatorische Franzbrötchen bestellt wurden, widmen wir uns der wichtigsten Frage überhaupt: Was genau hat es mit diesen BIDs auf sich und warum ist gerade der Neue Wall ein Vorzeigeprojekt, von dem andere Städte und Regionen etwas lernen können? Kleiner Spoiler vorweg: Es dauerte noch zwei weitere Getränke, ein belegtes Brötchen sowie einen Spaziergang, bis wir diese Fragen zu unserer Zufriedenheit geklärt haben werden.
Doch starten wir zunächst mit der Definition, die uns Julia Huber anschaulich erklärt: „Die Innovationsbereiche, so werden BIDs in Hamburg auch genannt, sind klar begrenzte Geschäftsgebiete – also Business Districts – in denen meist auf Veranlassung der Eigentümerschaft und Gewerbetreibenden in einem festgelegten Zeitraum von maximal fünf Jahren eigenorganisatorische Maßnahmen zur Quartiersaufwertung – sprich Improvements – durchgeführt werden.“ Die Eigentümer müssen sich mehrheitlich dafür aussprechen. Finanziert werden die Innovationsbereiche durch eine kommunale Abgabe, die die gesamte im Gebiet ansässige Eigentümerschaft zu leisten hat. Das verhindert Trittbrettfahrer, da alle zahlen müssen – und natürlich alle von den Verbesserungen profitieren. Kernziel ist es, die Attraktivität für Kund:innen und Besucher:innen zu erhöhen. Heiko Fischer erklärt: „Etwa die Hälfte des eingesammelten Kapitals der Eigentümer wird in Infrastrukturmaßnahmen investiert, sei es für Baumaßnahmen, Beleuchtung oder Mobiliar. Die übrigen Mittel fließen in zusätzliche Reinigungen, Events und weitere standortbezogene Marketingmaßnahmen.“ So können die Eigentümer den Wert ihrer Immobilien stabilisieren oder sogar verbessern. Gleichzeitig wird die Position der Innenstadt, des Bezirks oder der Quartiere als Einzelhandels- und Dienstleistungsstandorte im Wettbewerb gestärkt. Planung, Abstimmung und Koordination der Maßnahmen erfolgt durch einen spezialisierten BID-Berater, den die Eigentümergemeinschaft für die gesamte Laufzeit beauftragt.
BID Neuer Wall: Aufenthaltsqualität steigern
Die Theorie haben wir im Café bereits geklärt, bei einem Spaziergang wollen wir uns der Praxis widmen. Da Julia Huber einen Folgetermin hat, verabschiedet sie sich – unseren eigentlichen Termin zum Thema Luxus-Retail müssen wir verschieben. Denn das Business Improvement District hat uns ganz in seinen Bann gezogen, spätestens nachdem uns Fischer Fotos auf dem Tablet zeigt, wie der Neue Wall vor der Umwandlung in ein BID aussah: Die Aufenthaltsqualität war am Neuen Wall im Vergleich zu München oder Wien quasi nicht vorhanden. Schmale Fußwege, die kein Flanieren nebeneinander ermöglichten, parkende Autos in zweiter und sogar dritter Reihe – heutzutage kaum vorstellbar. Auf diese Bemerkung hin muss Fischer schmunzeln „Ja, da sieht man, was der BID Neuer Wall bewirkt hat. Um die besondere Qualität des Quartiers zu unterstreichen, hat man hochwertiges, helles Pflaster aus Naturstein verbaut, statt der typischen „Hamburger Senatsplatte“, einem grauen 50-mal-50-Zentimeter-Beton“ Allein das Pflaster und die breiten Gehwege erhöhen die Aufenthaltsqualität, können wir aus Erfahrung sagen, als wir nebeneinander an Cartier auf dem Neuen Wall vorbeigehen. Autos sieht man nur wenige. Neben breiteren Gehwegen wurden Parkräume optimiert und eine bessere Erreichbarkeit gewährleistet. Auch die Stadtmöblierung wurde aufgewertet und ergänzt, beispielsweise mit Fahrradständer, Abfallbehältern und Bänken, die zum Verweilen einladen. „Fast alle BIDs haben zudem erheblich in eine Begrünung investiert“, erklärt Fischer als wir im Passagenviertel spazieren, wo man aktuell im Sommer den riesigen Ball aus Blumen bestaunen kann, der von oben herabhängt. In der späteren Recherche finden wir heraus, dass es sich bei den oben genannten Maßnahmen um sogenannte Bau-BIDs handelt. Demgegenüber stehen Marketing-BIDs.
Auch dazu hat Fischer Beispiele anhand des Neuen Walls parat: „Der Neue Wall verfügt neben den gängigen Social Media-Kanälen über ein eigenes E-Magazins NW MGZN und der BID Neue Wall plant auch Events wie die Hamburger Sommergärten.“
Auswahl an Maßnahmen am BID Neuer Wall im Überblick
- Marketing, Events und Kommunikation
- Einführung eines professionellen Districtmanagements
- Organisation des Parkraums
- Sicherheitsmanagement
- Maschinelle Reinigung des öffentlichen Raums
- Grünpflege einschließlich Bepflanzung
- Erstellung einer App sowie Überarbeitung der Homepage & der Social Media-Kanäle
- Initiierung von Veranstaltungen
- Kooperationen mit Nachbarquartieren und internationalen Akteuren
- Mieterbefragungen
- Passantenfrequenz-Zählungen und Auswertung in Form von Wochen-, Monats- und Quartalsberichten
HID – auch beim Wohnen nimmt Hamburg eine Vorreiterrolle ein
Als wir wieder bei unserer Hamburger Niederlassung ankommen und auf den Fahrstuhl warten, treffen wir auf Niels von Seggern, Director Regional Residential Investment. Dieser hat scheinbar unser Gesprächsthema mitbekommen und klinkt sich gleich ein: „Neben BIDs in mischgenutzten Gebieten gibt es in Hamburg auch Housing Improvement Districts, also sogenannte HIDs, die sich mit der Aufwertung städtischer Wohngebiete befassen.“ Was wir noch erfahren: Hamburg griff als erstes deutsches Bundesland die HID-Idee auf und begann bereits Ende 2006 mit der Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzes. Damit nahm es – wie bereits bei der Einführung des BID-Konzepts – bundesweit die Vorreiterrolle ein. Neben den Eigentümern und Mietern sind aufgrund ihres sozialen Engagements und ihrer oftmals großen Bedeutung in den Housing Improvement Districts weitere lokale Akteure wie Vereine, Kirchen, Schulen und weitere soziale und kulturelle Einrichtungen entscheidend. „In Hamburg Steilshoop, einer typischen Großwohnsiedlung der 1960er und 1970er Jahre, wurde der bundesweit erste HID eingerichtet“, verrät uns von Seggern. Doch für mehr Informationen bleibt keine Zeit, denn wir sind bereits im achten Obergeschoss angekommen. Nach diesem Nachmittag wird uns klar: Mit Hamburg als Innovationsstandort müssen wir uns viel öfter befassen – und ein Besuch am Neuen Wall lohnt sich immer!