KULTURWANDEL DURCH SOCIAL MEDIA?
Social Media hat das Zeitalter der Massenmedien revolutioniert, indem jeder Mensch Inhalte erstellen und damit ein Publikum auf eine nie da gewesene Weise erreichen kann.
In diesem Zuge haben sich neue Wertschätzungsformate entwickelt, die zum Teil einen höheren Stellenwert genießen, als die reale Form der Zuneigung.
Likes – das Kompliment des 21. Jahrhunderts
Heute kann ein Like eine bewusstseinsverändernde Wirkung haben. Und seien wir mal ehrlich: Wer freut sich nicht, wenn das eigene Foto positive Reaktionen erzielt? Man fühlt sich besser, und trivialerweise wird das Selbstbewusstsein durch die positive Bestätigung gestärkt.
Wieso trivial? Weil es eine Zuneigung ohne Substanz ist, ohne Gefühl und ohne Bedeutung. Fotos sind Momentaufnahmen ohne Kontext, bearbeitet und zugeschnitten. Der Fokus liegt auf der bestmöglichen Selbstdarstellung, die das Leben im Filtermodus fixiert und nur wenig Realität durchscheinen lässt.
Doch die Erfahrung zeigt: Das Konzept funktioniert.
Entstanden ist eine narzisstische Kultur, die neue Vorbilder à la Kim Kardashian hervorgebracht hat.
Neue Werbeformate durch Influencer-Marketing
Die Macht von Social Media und die Anzahl der Narzissten, oder nennen wir sie Influencer, wächst kontinuierlich. Sie genießen eine Reichweite, die sich manche Unternehmen mit Ihrer Marke nur wünschen können.
So erklärt es sich auch von selbst, dass die Marke auf den Menschen als Werbeträger projiziert wird.
Vor allem für Unternehmen im Endverbraucher-Segment mit junger Zielgruppe bietet sich Influencer-Marketing besonders an. In ihrer Vorbildfunktion demonstrieren sie den Lifestyle, der erstrebenswert zu sein scheint. Ein Lifestyle, der mit der Realität selten vereinbar ist.
Personalisierung durch Social Media ist also Fluch und Segen zugleich. Sie schafft neue Werte und Illusionen und in diesem Zuge auch neue Werbeformate.
Im Gegensatz zu klassischer Werbung, bei der das Supermodel das Werbeplakat zierte und eine Identifizierung kaum möglich war, ist mit Social Media eine Kultur der Offenheit entstanden, die das Wort „Privatsphäre“ kaum kennt. Wir bekommen Einblicke in das Sozialverhalten, den Tagesablauf, das Essverhalten, Reiseziele oder in traute Familienszenen. Der Betrachter fühlt sich zugehörig und als Teil des dargestellten Lebens. Es liegt demnach nahe, dass er nicht nur den Lebensstil adaptieren, sondern auch dieselben Produkte nutzen möchte.
Auch B2B-Unternehmen wenden sich immer häufiger an Influencer, um ihre Marke zu bewerben. Allerdings handelt es sich hier hauptsächlich um Experten, die in der Branche einen guten Ruf und ein hohes Ansehen genießen.
Im Rahmen einer Studie des Bundesverbands Digitaler Wirtschaft zum Modell des Influencers wurde auch die Glaubwürdigkeit von Seiten der Nutzer einschätzt. Das Ergebnis ist nur allzu logisch:
Auf Platz drei hinter Empfehlungen von Bekannten und Kundenbewertungen folgen mit 29 Prozent die Influencer. Jeder sechste der 14- bis 29-Jährigen kauft ein Produkt, das Influencer beworben haben.
Mehr Individualität durch Influencer-Marketing
Während vor einigen Jahren noch Werbeverträge ohne Kennzeichnungspflicht abgeschlossen wurden, sind mit dem Erfolg von Influencer-Marketing auch die rechtlichen Anforderungen gestiegen: Bezahlte Partnerschaften müssen ausgewiesen werden, damit ersichtlich ist, dass das Produkt offiziell beworben wird.
Auch wenn damit die Illusion einer authentischen Produktempfehlung genommen wird, verringert sich der werbliche Erfolg nicht.
Influencer-Marketing könnte beliebter nicht sein und wird auch in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen, da es Unternehmen ermöglicht, individuellere Kampagnen zu fahren.
Aber führt die zunehmende Personalisierung zu einem Individualismus, der den Nutzern schaden könnte?
Auf der einen Seite bekommen die Nutzer Angebote, die ihren Interessen entsprechen – ein so zielgruppenspezifisches Marketing war in der Vergangenheit kaum möglich. Zudem können Erfolge sowie Misserfolge durch Monitoringtools genauer messbar gemacht werden, denn nicht jeder Influencer passt zu jedem Produkt. Bei Anzeigen in Printmedien ist nur die potenzielle Reichweite messbar. Durch die Fokussierung der Werbung auf soziale Netzwerke wird eine Transparenz geschaffen, die Unternehmen für ihren werblichen Erfolg nutzen können.
Auf der anderen Seite gibt der Blick auf die sozial-ethische Entwicklung einen berechtigten Grund zur Sorge. In ihrer Vorbildfunktion schaffen Influencer Illusionen und sorgen für ein personenabhängiges Suchtverhalten.
Auf die Dosierung kommt es an
Den Blick für die Realität nicht zu verlieren und Schein von Sein zu unterscheiden, verhindert die totale Abhängigkeit ohne auf die Vorteile zu verzichten. Bei der vorherrschenden Altersgruppe der Social-Media-Nutzer zwischen 12 und 18 Jahren ist der Blick auf die Realität naturgemäß eher verklärt, was eine Abhängigkeit von sozialen Netzwerken begünstigt.
Diese Abhängigkeit wird in den kommenden Jahren auch nicht abnehmen, da die Millennials, also die um die Jahrtausendwende geborene Generation und ersten Digital Natives, auf den Arbeitsmarkt drängen und zu immer zahlungsfähigeren Kunden werden.
Ob eine „gesunde“ Nutzung von Social Media dann noch möglich ist, und wie stark Realität und Fiktion miteinander verschwimmen, wird die Zukunft zeigen.
Autorin: Ann-Kathrin Schmied