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DIE WOHNMASCHINE IST TOT – IM GESPRÄCH MIT GERHARD G. FELDMEYER VON HPP

Mehr als 33 Jahre deutscher Wohnarchitektur und viele internationale Projekte ändern den Blickwinkel: Man besinnt sich auf Bewährtes. Denkt Neues. Und lässt so einiges. Ein inspirierendes Gespräch mit dem Architekten Gerhard G. Feldmeyer, geschäftsführender Gesellschafter bei HPP, über Wohnmaschinen, Wohlgefühl und neue Wohnkonzepte.

Sie glauben nicht, wie viele Wohnungen mit unnötig schlechten Grundrissen ich in meiner Karriere gesehen habe.

GERHARD G. FELDMEYER
Geschäftsführender Gesellschafter bei HPP

Herr Feldmeyer, Sie verfügen wie kaum ein anderer über eine langjährige Erfahrung im deutschen wie internationalen Markt. Die Assetklasse Wohnen galt lange als langweilig. Die Architektur als funktional. Wie schätzen Sie persönlich die Situation heute ein?

Gerhard G. Feldmeyer: Wir verstehen unter Wohnen heute mehr, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Es ist ein Stück Selbstverwirklichung. Die monotone Wohnmaschine nach Le Corbusiers Unité d‘Habitation ist tot. Diese großmaßstäblichen 60er- und 70er-Jahre-Bauten sind problematisch. Im aktuellen Neubau herrscht oft der Wunsch nach Kleinteiligkeit. Selbst im Geschosswohnungsbau, wo mehrere Häuser einen Block bilden, will trotzdem jede:r identifizieren können, wo er oder sie wohnt. Das kann eine bestimmte Balkonausbildung, ein Erker oder eine Loggia sein. Es geht darum, wahrnehmbar zu bleiben. Natürlich gibt es noch Architekt:innen, die die Wohnmaschine propagieren, weil sie vermeintlich modern ist. Ich will das nicht verteufeln, es ist letztlich immer eine Frage der Qualität. Ein Wohnblock, der sensibel und kreativ gestaltet ist, hat durchaus seine Berechtigung. Für diesbezüglich gelungen halte ich den von HPP geplanten Wohnblock im Quartier maxfrei in Düsseldorf. Die in der Umgebung vorhandene Ziegelbauweise wurde aufgegriffen und vielfältig interpretiert. Ich bevorzuge eine dezente Individualität, ohne dass es gewollt wirkt.

Was ändert sich außerdem? Was macht Wohnen noch spannend?

Feldmeyer: Andere Länder, anderer Wohnbau: In der Türkei entstehen beispielsweise Wohnungen, die rechts und links von einem Mittelflur abgehen. Das wäre in Deutschland undenkbar. Viele befürchten, in der Anonymität zu versinken. Das Streben nach Gemeinschaft, neudeutsch Community, ist ein deutlich spürbarer Trend. Mit der Folge, dass mehr Räume für Begegnung geplant werden. Diese lassen sich gut ins Erdgeschoss integrieren. Der Einzelhandel als großer innerstädtischer Ertragsbringer der Vergangenheit ist auf dem Rückzug. Flächen mit kultureller oder sozialer Widmung gewinnen an Bedeutung. Zudem beobachten wir häufiger Multifunktionalität mit Büro, Wohnen und Gastronomie in der Quartiersentwicklung. Investoren forderten lange Zeit die strikte Trennung der Nutzungen. Inzwischen haben viele den Vorteil der Risikostreuung erkannt. Insofern ist Wohnen singulär immer weniger die Lösung für aktuelle und zukünftige Anforderungen; es bedarf der Kreativität von Architekt:innen und Stadtplaner:innen, und es kann spannend werden, wenn andere Nutzungen hinzukommen.

Wichtig finde ich, gefördertes Wohnen aus der „schlechten“ Ecke herauszuholen. Durch steigende Baukosten wird der Mix zwischen freifinanzierten und geförderten Wohnungen zunehmend zur Herausforderung. Es darf nicht dazu kommen, dass sozialer Wohnbau tendenziell als Belastung empfunden wird. Denn es drängt die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand. Um den sozialen Aspekt der ESG-Kriterien zu bemühen: Man sollte diesbezüglich nicht in Schubladen denken. Eine Familie aus der Krankenpflege sollte durchaus neben der Anwaltsfamilie leben können.

Feldmeyer begeistert sich für die Idee schwimmender Städte

Eine Nutzung der Wasserflächen, dort, wo Land knapp wird! Floating-Projekte mit schwimmenden Häusern gibt es zum Beispiel in den Niederlanden. Er denkt dabei aber in größeren Dimensionen, das heißt in Quartieren. Was wiederum bedeutet, dass deren Einfluss auf das bestehende Ökosystem berücksichtigt werden muss. Die Idee stammt aus Japan aus dem Metabolismus, wurde aber nie realisiert. Das Konzept geht über die rein architektonische Gestaltung hinaus. Es ist kulturell und philosophisch. Denn was passiert, wenn einem Grund und Boden nicht mehr gehören?

Zollhafen Mainz HPP Architekt

In einigen Assetklassen stehen wir vor einem massiven Umbruch. Das Shoppingcenter von vor 20 Jahren würde vermutlich heute so nicht mehr gebaut werden. Im Wohnen sehen viele Akteure wenig Risiko für disruptive Veränderungen. Sehen Sie das ähnlich oder steht uns in der Assetklasse Wohnen ebenfalls ein großer Umbruch bevor?

Feldmeyer: Disruptiv oder nicht, ich sehe große Chancen in der Multifunktionalität und der Reversibilität und kann mir sogar vorstellen, dass Wohnbau zukünftig als Skelettbau konzipiert wird und damit viel anpassungsfähiger wäre. Wichtig ist mir dabei das Wohngefühl, das man nach der Fertigstellung wahrnimmt. Eine kleine Wohnung kann großzügig wirken und umgekehrt. Deshalb besuche ich gerne Projekte im Bau. Ich bin neugierig, ob z. B. Modulbau im Geschosswohnungsbau innenräumlich verträglich ist. Spürt man beispielsweise, dass sich immer gleiche Elemente wiederholen? Tendenziell sehen wir auch beim Wohnen eine Entwicklung zu variablen Wänden. Jede:r kommt im Leben mal an den Punkt, an dem er oder sie eine Wand versetzen möchte. Aber man sollte sie dafür nicht mit dem Presslufthammer einreißen müssen. Viel praktischer wäre z. B. ein offenes Konzept mit Wandelementen auf einem Schienensystem. Beispielsweise Raumteiler, die sich als Regal oder Sekretär eignen. Oder eine Küche, die nach Bedarf zugefahren werden kann. Konzepte hierfür gibt es von UNStudio, Amsterdam. Das offene Konzept eignet sich natürlich eher für Einzelpersonen oder Paare. Ich verstehe aber, dass man Türen schließen will und muss, wenn beispielsweise Kinder im Haushalt leben.

Sie verfügen über weitreichende Erfahrungen mit internationalen Projekten. Insbesondere in Asien, wo Urbanisierung in einem ganz anderen Maßstab stattgefunden hat. Ich denke hier an die Neuentwicklung gigantischer Städte. Welche Konzepte haben Sie gesehen, die zukünftig auch für Deutschland spannend sein könnten?

Feldmeyer: Einer der großen internationalen Trends ist die rapide zunehmende Digitalisierung: Smart Buildings und Smart City werden die großen Konglomerate dramatisch verändern. China ist da Vorreiter. Neben den Schattenseiten der Überwachung sind aber auch viele positive Aspekte zu finden. Beispielsweise wenn eine entsprechende Sensorik die Müllabfuhr steuert oder Smart-Home-Anwendungen per Sensorik Heizung und Licht reguliert. Das schafft nicht nur ein angenehmes Raumklima, sondern schont Ressourcen und den Geldbeutel. Ob Wohnen im asiatischen Raum vorbildhaft ist? In Tokio kommen Menschen mit der Hälfte dessen aus, was wir hierzulande als notwendigen Wohnraum betrachten. Aber auch in Deutschland beobachten wir den Trend einer Wohnflächenverkleinerung in den Ballungsräumen. Auch wenn die 3-Zimmer-Wohnung nicht totzukriegen ist, werden sich die durchschnittlichen 80 m² kostenbedingt Richtung 70 m² reduzieren. Es ist immanent, über intelligente Grundrisse nachzudenken. Zum Beispiel im Badezimmer ist die Badewanne längst out. Blicken wir nach Westen, haben wir unwillkürlich die extrem schlanken und bis zu 400 m hohen Wohnhochhäuser New Yorks vor Augen. Diese bieten einer kaufkraftstarken Klientel tolle Alleinstellungsmerkmale, werden allerdings selten bewohnt und taugen deshalb nicht zum Vorbild. Allgemein bin ich kein Verfechter von Wohnhochhäusern in Deutschland. Sie verstärken die Anonymität, verhindern den Bezug zum Straßen- oder Platzraum und sind eher ein Thema für Megacitys mit hohem Nachverdichtungsdruck.

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Was würden Sie gerne außerdem von Ihrem Heimatmarkt fernhalten?

Feldmeyer: Die Uniformität. Zwanzig identische Hochhäuser bilden kein lebenswertes Quartier. Bei einem Wettbewerb in Kasachstan haben wir erlebt, dass ein chinesischer Anbieter, der ein und denselben Haustyp zwanzig Mal kopierte, den Zuschlag für das halbe Honorar erhielt. Er variierte lediglich Material und Farbe. Das ist schlimm und entwertet das Quartier sowie die Arbeit der Architekt:innen.

Sie haben sich mit dem Thema nachhaltiges Bauen schon beschäftigt, als es noch nicht en vogue war. Mittlerweile sind Sie einer DER Experten in Deutschland zu diesem Thema. Ist Holz der bessere Baustoff?

Feldmeyer: Holz ist ein Mega-Baustoff. Nachwachsend, im Wachstum zudem CO² -bindend. Massive Holzwände benötigen u. a. außen viel weniger Dämmung als betonierte oder gemauerte Wände. Ein gesunder Werkstoff, der unbehandelt sehr gut mit Feuchtigkeit umgehen kann. Einziger Wermutstropfen: der Schallschutz und das ewige Thema Brandschutz. Leider können wir nicht alle Gebäude Deutschlands in Holzbauweise errichten. Deshalb müssen wir ressourcenschonend auf andere Materialien zugreifen und die Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie dringend in Gang bringen. Das beginnt damit, dass wir Material eine Identität geben müssen. Nur ein in Datenbanken hinterlegter Materialausweis ermöglicht später eine sortenreine Trennung und das Recycling der Baustoffe. Re-Use ist eines der Top-Themen, das auch zu einer neuen Ästhetik führen wird.

Noch weiter gedacht: Werden wir in zwanzig Jahren Häuser aus dem 3-D-Drucker als normal empfinden?

Feldmeyer: Der 3-D-Druck wird kommen: Einfamilienhäuser gibt es bereits aus dem Drucker. Im nächsten Schritt sind es Mehrfamilienhäuser. Aber das bringt auch eine gewisse Ästhetik hervor, derer man sich bewusst sein muss. In der Praxis sprechen wir heute schon über Drucker, die bis zu sieben Meter hohe Wände fertigen – leider mit nach wie vor zementhaltigen Baustoffen. Zukünftig könnten Carbonfasern für die Armierung Stahl ersetzen. Ähnlich fortschrittlich denken wir bei unserem aktuellen HPP-Forschungsprojekt mit Autodesk. Angedacht wird ein Einsatz von Robotern auf der Baustelle, die die 3-D-Planung im Eins-zu-eins-Maßstab auf Wände und Decken bringen. So müssten Bauarbeitende nicht mehr mit großen Papierplänen hantieren. Das verringert Fehler und spart Zeit, wenn der elektronische Kollege in der Nacht arbeiten könnte. In der Tat ist das noch Zukunftsmusik. Heutige Architekt:innen sind aber auf jeden Fall eher Programmierende als lediglich Designer:innen. Sie schreiben Skripte und definieren Parameter.

Eine Frage zu guter Letzt: Nach mehr als drei Dekaden in einem großen Architekturbüro, preisgekrönten Entwürfen und spannenden Projekten. Welchen Wohntraum haben Sie für sich selbst entworfen?

Feldmeyer: Nicht entworfen, aber bezogen. Aus suburbanem Kontext bin ich mit meiner Familie mitten in die Stadt gezogen. In eine moderne Geschosswohnung, die viele Kriterien erfüllt, die für mich ein perfektes Wohnkonzept ausmachen. Ich habe für mich zehn Kriterien definiert: Unser Zuhause sollte erstens klimagerecht und nachhaltig, zweitens grün, drittens autoreduziert, viertens lebendig und urban, fünftens zu Fuß erreichbar, sechstens gemeinwohlorientiert, siebtens sozial und kulturell geprägt, achtens digital, neuntens barrierefrei und zehntens kleinteilig sein. Es muss nicht spektakulär sein, wohl aber meinen Anspruch an einen intelligenten, wandelbaren Grundriss erfüllen. Dazu gehören Raumhöhen. Ab drei Metern fühle ich mich erst richtig wohl. Die Designerbrille habe ich weggelegt. Sie werden weder schwarze Wände noch eine Überzahl an Design-Objekten finden. Vielmehr drückt sich meine Idealvorstellung von Wohnen in einer entspannten Selbstverständlichkeit aus.

Dieser Artikel ist Teil der Reihe City Report Wohnimmobilien

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Der Artikel basiert auf einem Interview vom 24.02.2022

Autorin: Michaela Stemper
Fotos/Visualisierungen: INTERBODEN Gruppe / HAMBURG TEAM / bloomimages; Chris Rausch; HPP Architekten

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