Healthcare-Immobilienmarkt Deutschland

EINE ASSETKLASSE, VIER PERSPEKTIVEN: HEALTHCARE-IMMOBILIEN IN ZEITEN VON COVID-19

Bereits vor der Corona-Krise hatte die Assetklasse Gesundheitsimmobilien einen regelrechten Hype erfahren. Sie galten als sicherer Hafen mit Renditepotenzial. Das Jahr 2020 hat den Boom noch weiter verschärft. Die Zahlen belegen es: Mit knapp vier Milliarden Euro wurde ein neues Rekordergebnis registriert, das 68 % über dem Vorjahreswert liegt. Noch bemerkenswerter ist, dass der zehnjährige Schnitt mehr als verdoppelt werden konnte.

Doch wir wollten einen Blick hinter diese blanken Zahlen werfen und haben daher mit verschiedenen Beteiligten des Bereichs – angefangen von den Projektentwicklern über die Investoren bis hin zu den Betreibern – darüber gesprochen, was die Pandemie im Hinblick auf Healthcare-Immobilien verändert hat.

Healthcare Interview

Was waren für Sie die größten Überraschungen in einer Zeit, die durch die Pandemie geprägt worden ist?

Sebastian Schlansky: Hier sind zwei konträre Entwicklungen zu nennen: Zum einen sind vollstationäre Pflegeheime Orte, an denen sich aufgrund der Vielzahl an Menschen aus Risikogruppen, das Virus fatal ausbreiten kann. Zum anderen sind das aber auch genau die Einrichtungen, die häufig über gute Hygienekonzepte verfügen, da sie ihre Bewohner ohnehin vor Viren, z.B. einer Grippewelle, schützen müssen.

Wir legen unseren Fokus auf ambulante Konzepte bzw. Seniorenwohnanlagen, in denen die meisten Bewohnerinnen und Bewohner ein selbstbestimmtes Leben führen. Diese sind sehr gut durch die erste Welle der Pandemie gekommen. Ich muss hier hervorheben, dass die Betreiber, die wir währenddessen sehr eng begleitet haben, außergewöhnlich gewissenhaft mit den Auswirkungen der Pandemie umgegangen sind und sehr schnell auf die neuen Umstände reagiert haben. 

Bernd Rothe
Bernd Rothe
Geschäftsführer cosiq GmbH, Betreiber

Das hört man auf Betreiberseite sicher gern…

Bernd Rothe: Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, wobei ich einen Aspekt doch noch erwähnen möchte: Die digitale Anbindung der Heime wurde wesentlich optimiert. So konnte der Fernkontakt verbessert werden.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass im zweiten Lockdown ein komplettes Abschotten der Heime, wie es im Frühjahr organisiert wurde, von Betreiber- und Bewohner-Seite sowie von den Angehörigen nicht mehr gewünscht war. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten unter der Schließung der Pflegeheime zu leiden, da die Kommunikation mit den Angehörigen wesentlich erschwert wurde.

Georg Ritgen: Die digitale Weiterentwicklung der Betriebe wird nicht nur die Kommunikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit den Angehörigen verbessern. Unserer Einschätzung nach wird die Digitalisierung auch langfristig Einfluss auf die Professionalisierung der Betreiber haben.

Die Digitalisierung wird auch langfristig Einfluss auf die Professionalisierung der Betreiber haben.

Georg Ritgen MRICS
Georg Ritgen
Director National Healthcare Services BNP Paribas Real Estate
Anna Lena Hetzel
Anna-Lena Hetzel
Transaction Manager BNP Paribas Real Estate Investment Management, Investor

Professionalisierung klingt sicherlich gut in den Ohren der Investoren. Hat sich denn aus Ihrer Sicht etwas verändert im Hinblick auf die Assetklasse Healthcare?

Anna-Lena Hetzel: Die Assetklasse hat im Vergleich zu anderen Nutzungsarten keinen Rückgang in der Investorennachfrage erfahren und sich im institutionellen Bereich als sehr krisenfest gezeigt. Dies gilt insbesondere für Seniorenheime. Dies hat dazu geführt, dass die Nachfrage weiter gestiegen ist, dass das Wettbewerbsverhalten unter den Investoren deutlich zugenommen hat und die Renditen für die Assetklasse weiter gesunken sind.

Durch das gestiegene Investoreninteresse erwarten wir daher eine zunehmende Professionalisierung des gesamten Marktes bei weiter sinkenden Renditen.

Können wir etwas von der Krise lernen; sehen Sie auch Chancen, die dadurch entstanden sind – die Projektentwickler in der Runde vielleicht?

Steffen Wehrum: Die Chance für die Zukunft ist ein Besinnen auf einen effektiveren und umweltneutraleren Workflow, indem die Projektarbeit vermehrt digital stattfindet. Und damit die Zeitkapazitäten sinnvoll genutzt werden können, ohne viel unproduktive Zeit im Zug, Auto oder Flugzeug zu vergeuden. Persönliche Kontakte und Termine werden sicherlich in ihrem Status verlieren und nur noch zielgerichtet bei tatsächlichem Bedarf zum Einsatz kommen.

Die Nachfrage nach Gesundheitsimmobilien ist und wird auch zukünftig sehr hoch sein.

Bernhard Kaiser
Bernhard Kaiser
Vorstand Open Mainded Projektentwicklung AG, Projektentwickler

Bernhard Kaiser: Die Nachfrage nach Gesundheitsimmobilien ist und wird auch zukünftig sehr hoch sein. Die Marktchance in diesem Segment bleibt also sicher nachhaltig und groß. Ein Risiko sind die sich deutlich verändernden Bearbeitungsprozesse auf Seiten der Behörden und Ämter; da wird es eine Zeit brauchen, alles aufzuarbeiten.

Welche Chancen und Risiken sehen die Investoren und Betreiber, vor allem für den Bereich Healthcare?

Daniel Bauer: Um die Reputation der Pflege- und Sozialberufe steht es in Deutschland seit geraumer Zeit nicht gut. Hier entwickelt sich in kleinen Schritte eine andere Denkweise, nicht zuletzt dank der sehr guten Arbeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Im nächsten Schritt muss sich das aber auch auf Vergütung und personellen Ressourcen niederschlagen. Anreizsysteme müssen geschaffen werden, um das Berufsfeld attraktiver zu gestalten. Das darf aber nicht finanziell zulasten der versorgten Menschen gehen.

Der Fokus auf die Pflegebranche bietet die Chance, Wohn- und Pflegeangebote im allgemeinen Kontext weiterzudenken und zu entwickeln.

Harald Berghoff
Harald Berghoff
Geschäftsführer AlexA Seniorendienste GmbH, Betreiber
Sebastian Schlansky
Sebastian Schlansky
Leiter Gesundheitsimmobilien HAMBURG TEAM Investment Management GmbH, Investor

Harald Berghoff: Das möchte ich ebenfalls dick unterstreichen! Zudem bietet der Fokus auf die Pflegebranche, die aktuell als „systemrelevant“ eine gesellschaftliche Aufwertung erfährt, auch die Chance, Wohn- und Pflegeangebote im allgemeinen Kontext weiterzudenken und zu entwickeln. Der Bedarf an Pflege ist weiterhin wachsend, gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung und die Nachfrage nach alternativen Wohnpflegemodellen (WGs, Mehrgenerationen-Wohnen), die im sektoral aufgestellten Rahmen betreiberseitig aktuell meist schwierig umsetzbar sind.

Sebastian Schlansky: Konjunkturunabhängige Immobilien wie Gesundheitsimmobilien, bei denen die Nachfrage aufgrund der demographischen Entwicklung über Jahrzehnte ganz klar kalkuliert werden kann, verzeichnen derzeit einen regelrechten Ansturm, weil viele Investoren sicherere Häfen für ihr Kapital suchen. Das ist auf der einen Seite für das Segment Healthcare gut, weil so mehr Mittel in eine dringend benötigte Versorgungsinfrastruktur fließen, die unsere alternde Gesellschaft einfach weiter aufbauen muss. Auf der anderen Seite wird die Größe des Marktes häufig überschätzt, und man darf nicht vergessen, dass es sich nach wie vor um Spezialimmobilien handelt, bei denen ganz andere Rahmenbedingungen beachtet werden müssen und man auch Zugang zu einem gesunden Netzwerk benötigt, um ein nachhaltiges Portfolio aufzubauen. Ich habe die Befürchtung, dass sich Investoren verzetteln werden, die zu schnell große Summen in diesen Markt investieren wollen.

Georg Ritgen: Wir als Immobiliendienstleister haben beobachtet, dass sich die Vermietungsmandate, aber auch die Verkaufsprozesse, zum Teil erheblich verzögert haben. Weniger auf Seiten der institutionellen Investoren, vielmehr hinken die Behörden bei der Bearbeitung von Anfragen deutlich hinterher. Auch die Betreiber haben verständlicherweise aktuell etwas anderes im Fokus als ihre Expansionen.

Die Chancen auf eine Expansion für Betreiber sind zurzeit aber gut?

Georg Ritgen: Gesundheitsimmobilien werden immer öfter als Alternative für die klassischen Nutzungen Büro, Wohnen, Hotel und Einzelhandel angesehen. Durch die Refinanzierungssystematik und die höheren Verkaufsrenditen rechnet sich diese im Vergleich zu Wohnen oder Büro zwar nicht immer, aber die Aufmerksamkeit hilft auch hier, um Türen für Projektentwickler zu öffnen, damit solche alternativen Konzepte zumindest häufiger geprüft werden und sich daraus dann wieder neue Möglichkeiten ergeben. Somit haben wir den Eindruck, dass den Betreibern, trotzt der generellen Schwierigkeit passende Grundstücke zu identifizieren, derzeit mehr Angebote für neue Standorte gemacht werden.

Ist die zunehmende Digitalisierung auch eine Chance für Healthcare-Immobilien?

Bernd Rothe: Auf jeden Fall! Dies betrifft nicht nur die W-LAN-Ausstattung in den Pflegeheimen, sondern auch, dass den Betagtesten der Zugang zu einer digitalen Kommunikation mit den Angehörigen ermöglicht wird. Zudem eröffnen Konzepte wie „Ambient Assisted Living“ zunehmend die Möglichkeit einer besseren Betreuung von Bewohnern in Pflegeheimen, aber auch in Servicewohnungen. Hierdurch vereinfacht sich die Kommunikation mit dem medizinischen Personal. So können beispielsweise Vitalwerte laufend überwacht und auf deren Veränderungen schneller reagiert werden. Solche Systeme sollten in Zukunft in neuen Gebäuden verstärkt eingeplant werden.

Steffen Wehrum
Steffen Wehrum
Geschäftsführer HP&P Holding GmbH, Projektentwickler

Gibt es noch andere Anforderungen oder Gestaltungsmerkmale, die für Gesundheitsimmobilien jetzt wichtiger werden?

Steffen Wehrum: Die hygienischen Anforderungen in der vom Robert-Koch-Institut (RKI) herausgegebenen Empfehlung „Infektionsprävention in Heimen“ hat auf jeden Fall Auswirkungen auf die Grundrissgestaltung, beispielsweise auf die Nebenraumplanung. Auf jeder Pflege-Etage ist mittlerweile ein reiner Pflegearbeitsplatz einzurichten und dieser Bereich strikt von den Arbeitsplätzen für Schreibarbeiten und Kommunikation zu trennen. Diese reinen Arbeitsbereiche dürfen nicht als Durchgangs- oder Pausenräume genutzt werden.

Haben sich die Anforderungen der Investoren in Bezug auf Healthcare geändert, Herr Schlansky?

Sebastian Schlansky: Unsere Strategie hat nach wie vor Bestand und hat sich im Kern nicht verändert. Wir legen Wert auf moderne, zeitgemäße Einrichtungen, die den Erfordernissen der Bewohnerinnen und Bewohner an ein selbstbestimmtes und wohnnahes Leben entsprechen und die in die jeweilige Gemeinde oder das städtische Umfeld integriert sind. Wir werden uns im Hinblick auf Ankäufe in der Zukunft aber auch anschauen, welche Betreiber und Konzepte sich während dieser Pandemie besonders bewährt haben.  

Frank Kühnhauser
Frank Kühnhauser
Prokurist ERLBAU Deggendorf GmbH & Co. KG, Projektentwickler

Beobachten Sie noch andere Trends und Entwicklungen, Herr Kühnhauser?         

Frank Kühnhauser: Unabhängig von der Pandemie geht bei Seniorenimmobilien der Trend zu kleineren Einheiten, um die Mieten bezahlbar zu halten. Für uns steht fest: Wir werden weiterhin auf das Segment Seniorenimmobilien setzen.                                                 

Und welche Anforderungen und Veränderungen beobachten die Betreiber von Gesundheitsimmobilien in Zeiten von COVID-19?                                                 

Bernd Rothe: Pflegeeinrichtungen mit einem hohen Doppelzimmer-Anteil tun sich in Pandemiezeiten schwerer, die notwendigen Isolationsmaßnahmen durchzuführen. Daher wird sich wohl in Zukunft die Anzahl der Doppelzimmer weiter reduzieren. Dies ist aber eine Tendenz, die schon vor der Pandemie im Markt zu beobachten war. Zusätzlich könnten die Gemeinschaftsflächen eher großzügiger konzipiert werden. Solche Maßnahmen müssen aber auch durch die Kostenträger refinanziert werden, und diese Tendenzen sind aktuell nicht spürbar. Eher im Gegenteil.

Daniel Bauer: Die räumlichen Kapazitäten in den Pflegeimmobilien sind in aller Regel sehr knapp bemessen. Es ist erstrebenswert, dass in zukünftigen Planungen von neuen Projekten „Ausweichmöglichkeiten“ berücksichtigt werden. Die Grundrissanforderungen entwickeln sich konzeptionell und inhaltlich von Projekt zu Projekt in Neubau und Sanierung beständig weiter. Das HGBPAV bietet in Hessen bereits gute Leitplanken und wird sicher in Zukunft um die in der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse erweitert werden.

Die räumlichen Kapazitäten sind in aller Regel knapp bemessen. Es ist erstrebenswert, dass zukünftig Ausweichmöglichkeiten berücksichtigt werden.

Daniel Bauer
Daniel Bauer
Stellvertretende Fachbereichsleitung Fachbereich Senioren Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hessen-Süd e.V., Betreiber

Herr Ritgen, Sie haben das Interview initiiert - was ist Ihr Fazit zur Assetklasse Healthcare?

Georg Ritgen: Der stabile Cashflow durch die lang laufenden Mietverträge, die Konjunkturunabhängigkeit sowie die steigende Professionalisierung der Betreiber vereinfacht den Investoren den Neueinstieg.

Die steigende Fungibilität und Liquidität in der Assetklasse bietet für Investoren die Sicherheit, nach Ihrer Haltedauer die Objekte wieder veräußern zu können.

Der aktuell vorhandene positive Renditespread zu alternativen Assetklassen wird das Interesse von Investoren verstärken, sich in dieser Assetklasse zu engagieren und so die Produktnachfrage weiter steigen lassen.

Kurz: Auch wir gehen davon aus, dass die Bedeutung dieser Assetklasse weiter zunehmen wird.

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