WARUM HANDEL UND GASTRONOMIE POSITIV IN DIE ZUKUNFT BLICKEN
Auch wenn es zu früh ist, von einer Kehrtwende zu sprechen und zahlreiche Retailer und Gastronomen eher mit der Restrukturierung und Stabilisierung ihres Geschäfts beschäftigt sind, ist eine gewisse Aufbruchsstimmung erkennbar. Wir haben mit vier Expert:innen über die Erfahrungen, Zukunftspläne und Wichtigkeit von Nachhaltigkeit und ESG gesprochen.
Herr Bartmann, auf einer Skala von 1-6, wie würden Sie die Situation für das eigene Business in den vergangenen Monaten bewerten?
[Andreas Bartmann: Es geht in die richtige Richtung. Nach gut fünf Monaten geschlossener Geschäfte war es eine glatte Fünf. Die in der Zeit gestiegenen Online-Umsätze haben zwar etwas geholfen, aber auch nach den ersten Öffnungstagen war die Situation noch verhalten. Erst jetzt läuft es fast wieder normal, und wir blicken, mit einer zwei, hoffnungsvoll nach vorne.]
Haben die anderen positivere Erfahrungen gemacht?
[Martin Genheimer: Teils teils. Corona hat selbstverständlich auch bei uns Spuren hinterlassen. Durch unseren gut aufgestellten Online-Shop konnten wir jedoch – zumindest in diesem Segment – Marktanteile hinzugewinnen.]
[Kent Hahne: Die aktuelle Situation für unsere gastronomischen Angebote würde ich mittlerweile als zwei, also gut bezeichnen! Die Menschen möchten zurück in unsere Restaurants. Und wir haben alles getan, um das Restauranterlebnis so sicher und angenehm, wie möglich zu gestalten. Außerdem konnten wir neben dem Restaurant-Business noch Delivery & Pick-up etablieren. Das wird uns – auch in Zukunft – sehr helfen.]
Höre ich da heraus, dass Sie trotz Pandemie weiter expandieren möchten?
[Hahne: Ja, definitiv. Wir haben während der beiden Lockdowns schon drei L’Osteria-Restaurants eröffnet, eröffnen bis Oktober zwei weitere The ASH, und so soll es auch weitergehen. Momentan gibt der Immobilienmarkt einiges her. Wir wählen zwar sehr bedacht, aber für uns werden nun einige Standorte deutlich attraktiver, als sie es vorher waren.]
Gilt das auch für Globetrotter, Herr Bartmann?
[Bartmann: Ja. Wir sehen, dass wir im Zusammenspiel online und stationär die Kund:innen am besten erreichen. Weitere Filialen sind somit eine wesentliche Basis für unsere weitere Unternehmensentwicklung. Die Stärken des stationären Handels, Einkaufen mit allen Sinnen, hat Potenzial und Zukunft.]
Die Stärken des stationären Handels, Einkaufen mit allen Sinnen, hat Potenzial und Zukunft.
Spiegeln sich diese Erfahrungen auch auf dem Retailmarkt wider, Frau Reischl?
[Claudia Reischl: Was Herr Bartmann sagt, das trifft es genau. Der richtige Mix aus online und offline ist entscheidend: Händler berichten immer wieder, dass sie in Städten ohne stationäre Läden auch wesentlich weniger Online-Umsatz tätigen. Daher sind stationäre Expansionen bei vielen Firmen auch weiter in Planung.
Man merkt auf jeden Fall langsam eine Erholung und auch einen Nachholbedarf vonseiten der Kund:innen: So berichten Gastronom:innen in München, dass sie selbst an den Tagen, die normalerweise nicht so gut laufen, jetzt oft voll besetzt sind. Auch Schlangen vor Geschäften wie dem LEGO Store oder Luxus-Marken wie Louis Vuitton sind immer wieder zu sehen.]
Letztendlich brauchen in diesen unruhigen Zeiten alle eine gewisse Sicherheit und Verlässlichkeit.
Herr Genheimer, was sind Ihre wichtigsten Learnings der vergangenen Monate?
[Genheimer: Wir haben in den letzten Monaten intensiv daran gearbeitet, allen Interessen gerecht zu werden, um durch die Krise zu kommen – sei es gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden als auch mit unseren Geschäftspartnern. Denn letztendlich brauchen in diesen unruhigen Zeiten alle eine gewisse Sicherheit und Verlässlichkeit. Diese Signale sind sehr gut aufgenommen worden.
Ein Grund mehr, positiv in die Zukunft zu schauen, denn wir haben bereits den Blick auf das Weihnachtsgeschäft gerichtet. Sofern kein weiterer Lockdown kommt, sind wir sicher, dass wir in dieser Saison gut vorbereitet sind. Schließlich wissen wir 2021 sehr genau, wie wir bei möglichen Einschränkungen mit der Situation umgehen können.]
[Hahne: Wahre Worte. Auch wir haben gelernt, dass sich Mut und Durchhaltevermögen auszahlen. Während des Lockdowns haben wir sehr viel in Curbeside Pick-up & Delivery, Hygiene- & Sicherheitskonzepte, aber auch in die Digitalisierung investiert und sind noch lange nicht am Ende. Das wichtigste Learning für mich ist aber, dass ich ein Team um mich weiß, auf das ich mich zu 100 Prozent verlassen kann.]
Das klingt wirklich sehr gut! Da unser Magazin in diesem Jahr einen Fokus auf Nachhaltigkeit und ESG wirft, würde ich von Ihnen dreien wissen wollen, wie wichtig Ihnen diese Themen sind.
[Bartmann: Dies ist ein elementarer Pfeiler unser Unternehmensausrichtung – glaubwürdig und mit mutigen Schritten. Und das nicht nur mit den Sortimenten, sondern auch in der energetischen Qualität unserer Filialen. Wer dies nicht ernsthaft betreibt, wird seine Berechtigung im Markt künftig verlieren.]
[Genheimer: Wir haben bereits viel in diese Richtung angestoßen und überprüfen hier regelmäßig, wie wir noch besser werden können. Das Thema Nachhaltigkeit ist für unsere Kunden wie für uns selbst sehr wichtig.]
[Hahne: Auch für uns ist das Thema sehr wichtig. Das betrifft im Grunde alle Bereiche: angefangen beim Personal und der Nachhaltigkeit direkt im Restaurant über Verpackungen bis hin zu unseren Partnern, über die wir unsere Produkte beziehen. Nachhaltigkeit wird auch in Zukunft immer größere Relevanz haben, und das berücksichtigen wir natürlich in allen Bereichen und versuchen dabei, immer besser zu werden.]
Die Nachfrage nach ESG-konformen Objekten steigt, denn diese werden langfristig eine höhere Rentabilität versprechen.
Green Building-Zertifikate spielen auch für Retailimmobilien eine immer wichtigere Rolle. Gibt es darüber hinaus auf dem Markt Anzeichen dafür, dass ESG auch im Handel ankommt, Frau Reischl?
[Reischl: Zurzeit merkt man auf jeden Fall, dass diese Aspekte bei Einzelhandelsimmobilien eine immer größere Rolle spielen. Die energetische Sanierung und der Neubau nach Green-Building-Standards rückt daher weiter in den Fokus. Auch im Retailbereich muss das Ziel sein, den Energiebedarf zu senken, die Effizienz zu steigern und vermehrt auf erneuerbare Energien zu setzen. Neben nachhaltigen Materialien und modernen Immobilien muss aber auch der komplette Unternehmensprozess nachhaltig gestaltet werden.
Mein Fazit ist also: Die Nachfrage nach ESG-konformen Objekten steigt, denn diese werden langfristig eine höhere Rentabilität versprechen. Wobei die richtige Lage immer noch die erste Priorität bleiben wird.]
Okay, eine Frage habe ich doch noch: Wie schauen Sie in die Zukunft, was erwarten Sie vom restlichen Jahr und vielleicht auch für das kommende für Ihr Unternehmen?
[Bartmann: Es wird noch eine Herausforderung darstellen, bis Ende 2021 in eine neue Normalität zu kommen. Aber ab 2022 sehen wir uns wieder auf der Überholspur. Das deutlich gestiegene Interesse für Aktivitäten in der Natur und das Reisen spielt unserem Geschäft in die Karten.]
Wir werden gestärkt aus der Krise zurückkommen.
[Hahne: Auch wir schauen sehr optimistisch in die Zukunft! Ausgehend davon, dass wir keinen dritten Lockdown mehr erleben müssen, wird das Restaurant - der dritte Ort - auch wieder mehr und mehr in die Köpfe und Herzen der Menschen finden. Wir werden gestärkt aus der Krise zurückkommen, haben viele Strukturen optimiert und „gezwungenermaßen“ neue Geschäftszweige implementiert. Das wird uns mittel- und langfristig einen enormen Schub geben.]
[Genheimer: Ich bin da etwas vorsichtiger als die Kollegen. Wir würden uns natürlich, wie viele andere auch, ein großes Stück Normalität zurückwünschen. Eine langfristige Planung ohne kurzfristiges Umdenken wäre wünschenswert, um die wirtschaftliche Weiterentwicklung mit einem gesunden Wachstum weiter vorantreiben zu können. Dennoch müssen wir natürlich den Bedingungen der Pandemie Tribut zollen und auch weiterhin flexibel reagieren.]
Copyright Fotos: apeiron restaurant & retail management GmbH; Globetrotter
Dieser Artikel ist Teil des CHANGE Magazins 04