LOCKDOWN, ONLINE-HANDEL, KAUFFRUST – WAS TUN MIT SHOPPINGCENTERN?
In Deutschland werden heute knapp 500 Shoppingcenter gezählt – Ergebnis einer bemerkenswerten Bauentwicklung, die in den 1970er-Jahren einsetzte und erst 2010 in ihrer Dynamik zum Erliegen kam. Es herrscht Vollversorgung quasi, mitunter sogar Überversorgung mit Verkaufsfläche, wenn man sich zum Beispiel das Ruhrgebiet oder Berlin ansieht, wo neben der Konkurrenz zu den Highstreet-Lagen die Center untereinander um Kund:innen und Umsätze kämpfen. Die Zeiten des Wachstums sind jedoch vorbei, die Umsätze im stationären Einzelhandel gehen real zurück. Seit 2010 sind daher nur wenige neue Objekte hinzugekommen. Nur selten werden neue Standorte realisiert, wie etwa das Überseequartier Süd in der Hamburger HafenCity. Umso bedeutender werden seitdem Investitionen in den Bestand, um die Verkaufsmaschinen fit für die Zukunft zu machen.
Der Handel im Wandel
Die Corona-Pandemie, die forcierte Umsatzverlagerung ins Internet, außerdem jüngst eine hohe Inflation, massive Preissteigerungen und eine ausgeprägte Konsumzurückhaltung - der Einzelhandel steht unter Druck und ist dabei seit Jahren in vielerlei Hinsicht im Umbruch, nicht erst seit der Pandemie. Diese hat den Strukturwandel jedoch befeuert und verschiedene Entwicklungen beschleunigt, allen voran die Veränderung im Konsumverhalten durch die Zunahme des Online-Shoppings. Geschäftsmodelle sind infrage gestellt worden, überkommene Vertriebsstrategien haben sich als nicht nachhaltig erwiesen, und manch schwächelndes Unternehmen hat es nicht geschafft, die durch die Bewältigung der Pandemie ausgelösten Belastungen zu verkraften – trotz vieler Unterstützungsmaßnahmen von Vermietenden oder dem Staat. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat sich infolgedessen vom deutschen Markt zurückgezogen oder das Filialnetz reduziert, die Flächen- und Standortanforderungen der Retailer haben sich verändert. Die Nachfrage ist zurückgegangen, mehrgeschossige, große Stores sind inzwischen weniger gefragt als kompaktere Einheiten auf einer Ebene. Auf dem Markt für Einzelhandelsflächen führt dies zu einer völlig neuen Nachfragesituation, denn die Retail-Unternehmen haben ihre Anforderungen angepasst, und diese können nicht überall erfüllt werden. Die Folgen sind zunehmende Leerstände - selbst in Bestlagen -, erschwerte Vertragsverhandlungen und längere Vermietungszeiträume sowie nicht zuletzt Druck auf die Mietpreise. Es ist ein ausgeprägter Mietermarkt entstanden. Immerhin registrieren wir in den letzten Quartalen einen signifikanten Anstieg der Vermietungsleistungen, vor allem in den A-Städten! Auch internationale Brands und Konzepte drängen wieder auf den deutschen Markt.
Die Bewältigungsstrategien und Lösungsansätze, die Eigentümer, Investoren und Centermanager nun entwickeln, müssen zwingend auf die spezifischen Bedingungen vor Ort reflektieren.
Die aktuellen Herausforderungen wirken sich jedoch sehr unterschiedlich auf die einzelnen Center aus. Die Bewältigungsstrategien und Lösungsansätze, die Eigentümer, Investoren und Centermanager nun entwickeln, um die Perspektiven für die Zukunft zu verbessern, müssen zwingend auf die spezifischen Bedingungen vor Ort reflektieren.
Da sind zum einen die oft in Stadtteil-Lagen oder auch am Stadtrand befindlichen Center mit ausgeprägtem Nahversorgungscharakter, die im Vergleich weniger stark von Frequenz- und Umsatzeinbrüchen betroffen sind als zum Beispiel Center mit einem Fashion-Schwerpunkt im Branchenmix. So litten vor allem Center in Citylagen stärker unter den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als wohnortnahe Versorger. Inzwischen holen sie aber wieder auf, die Frequenzen haben deutlich zugenommen, die Umsätze liegen aber im Bundesdurchschnitt zum Teil immer noch mehr als 10 % unterhalb der Werte vor der Krise.
Nicht alles kann man den Lockdowns anlasten, die Probleme sind zum Teil hausgemacht und haben sich über viele Jahre aufgestaut. Eine zu starke Ausweitung der Verkaufsfläche in vielen Städten und Regionen hat generell zu einem verschärften Wettbewerb der Flächenanbieter und Standorte geführt. Die Kaufkraft ist nicht so schnell gestiegen, wie die Verkaufsfläche zugenommen hat. Und die Verlagerung der Umsätze ins Internet erreicht in einigen Sortimenten bereits Anteile von mehr als 50 %, was natürlich einen negativen Einfluss auf die Flächenproduktivität der entsprechenden Läden im stationären Einzelhandel hat. Manche Betreiber haben diesen Wandel unterschätzt oder schlicht verschlafen und keine geeigneten Antworten dazu entwickelt.
Sind Gastronomie-Konzepte die Rettung?
Was also tun in dieser Situation, um die Erosionsprozesse aufzuhalten und die Center fit für die Zukunft zu machen? Eine häufig verfolgte Strategie ist es, den Anteil von Nahversorgung und Gastronomie im Branchenmix der Shoppingcenter zu erhöhen – aktuell sind dies oft nur weniger als 10 % der Fläche. Angestrebt werden jetzt – je nach Lage und Center-Konzept – teilweise Anteile von bis zu 20 % und mehr. Die Europa Passage in Hamburg mit ihrem „Food Sky“ oder ähnlich das MyZeil in Frankfurt mit dem „Foodtopia“ haben diese Strategie vor allem für ihr schwächelndes 2. bzw. 4. Obergeschoss umgesetzt und moderne, vielfältige Gastronomie-Konzepte integriert. Im Vergleich zu modernen Centern in UK oder in Südeuropa ist Deutschland hier jedoch sicher noch Entwicklungsland und hat Potenzial.
Das Foodtopia ist einer von zwei großen Bausteinen einer umfassenden Modernisierung und Neupositionierung des MyZeil als moderner Shopping- Lifestyle- und Entertainment-Komplex.
Die Strategie „mehr Gastro“ ist aber oft mit hohen Kosten für den Umbau und die Ausstattung verbunden. Gleichzeitig ist der Mietertrag häufig geringer als das, was man von Fashion-Mietern oder anderen Branchen in der Vergangenheit gewohnt war. Insgesamt stagnierende oder sinkende Erträge bei zusätzlichem Investitionsbedarf begrenzen den Pfad der Wirtschaftlichkeit oft. Allerdings sind die langfristigen Perspektiven meist nicht gerade rosig. Untätigkeit kann hier zu fortschreitenden Problemen führen: Verschlechterung der Marktposition, weiter sinkende Frequenzen und Umsätze, Anstieg des Leerstands, auch durch Auszug noch funktionierender Konzepte. Einen solchen Trend umzukehren wird dann mit der Zeit immer schwieriger. Deshalb kann „mehr Gastro“ einen grundsätzlich stabilisierenden Effekt haben.
Erdgeschoss in, Obergeschoss out
Die großen Fashion-Konzepte haben ihre Standardgesuche deutlich verkleinert und können heute mit einem geringeren Sortiment, aber gleichzeitig mit einer maximal erweiterten Warenverfügbarkeit über den Online-Shop auf kleinerer Fläche (und oftmals mit weniger Personal) ihre Umsatzziele realisieren. Weniger Konzepte denn je können zwei oder mehr Verkaufsebenen bespielen. Das bedroht den Besatz und die Vermietungschancen vor allem in den Obergeschossen, und den Centern kommen damit auch die Anker abhanden. Auch die Kund:innen bevorzugen ebenerdige Flächen und meiden Treppen oder Aufzüge. Während das Untergeschoss gern für eine Ausweitung bzw. Ansiedlung der Nahversorgung (Lebensmittel, Drogerie, Dienstleistungen etc.) genutzt wird, finden sich immer weniger Retail-Konzepte für die Obergeschosse.
Vor diesem Hintergrund sind Ideen und Lösungen gerade für diese Verkaufsflächen gefordert, und sie werden mehr und mehr auch jenseits vom Einzelhandel gefunden. In Betracht zu ziehende alternative Nutzungen sollten idealerweise für eine Stärkung der Frequenz im Center sorgen und zur Attraktivitätssteigerung beitragen, etwa durch eine besondere Außenwirkung oder Anziehungskraft. Dies kann ein Service- oder Unterhaltungsangebot, wie zum Beispiel Bücherhallen, Ärztezentren, Bürgerbüros, Vereine, Sportangebote oder auch Education- und Entertainment-Konzepte für die ganze Familie, sein. Als weitere ungewöhnliche Non-Retail-Alternative sollte auch über Coworking und sogar Boxhotels nachgedacht werden. Die Potsdamer Platz Arkaden konzentrieren sich beispielsweise nach einem umfassenden Umbau auf das Erd- und das Untergeschoss. Das erste Obergeschoss als Mall entfällt in Zukunft, dafür werden neue Food-Konzepte integriert und mit dem ersten Mattel Family Entertainment Center in Deutschland auf 4.000 m² Mietfläche ein besonderer Akzent gesetzt. Neuer Name des Centers: „Playce“.
Das innovative Food-Hub-Konzept vereint lokale Gastro-Unternehmen und Kunsthandwerk sowie von Michelin empfohlene Köch:innen an einem Ort.
Wichtig ist ein „Leitmotiv“ oder eine konzeptionelle Idee, um die der zukünftige Branchenmix gestaltet und optimiert werden kann. Diese Ideen können zum Beispiel in Richtung Community Center/Marktplatz/Stadtteilzentrum gehen oder aber auch Schwerpunkte im Hinblick auf Family Entertainment, Education, Sport, Wellness und Well-Being legen. Die Ausrichtung muss jeweils vor Ort auf Basis von Standort, Markt, Einzugsgebiet, Kaufkraft, Wettbewerb und Nachfragepotenzialen ermittelt werden und sollte so weit wie möglich glaubhaft, nachhaltig und einzigartig sein.
Die Umsetzung ist nicht leicht, da mit der Nutzungsänderung meist umfangreiche bauliche Veränderungen verbunden sind: Fassadenöffnung, Veränderung der Grundrisse, neue Erschließung usw. Dies hat Auswirkungen auf Technik, Be- und Entlüftung, Brandschutz und Entfluchtung, auch die Genehmigungsfähigkeit ist zu prüfen. Darüber hinaus erschweren vorhandene Mietverträge die Maßnahmen. Center, die mehr oder weniger introvertiert organisiert sind, von außen daher weniger einladend wirken und sich nur bedingt mit nachbarschaftlichen Nutzungen verflechten, stellen eine besondere Herausforderung dar. Oft sind diese Objekte über die Fassaden kaum natürlich belichtet und verfügen über hohe Raumtiefen, was verschiedene Nutzungen ausschließt, oder aber erhebliche Eingriffe in die Fassade und die Grundstruktur erforderlich machen. Umgekehrt verfügen offene, bereits gemischt strukturierte Center häufig über günstigere Ausgangsbedingungen.
Patentrezepte gibt es nicht
Im Hinblick auf geeignete Nach- und Umnutzungen sind also eine Vielzahl von Parametern zu prüfen. Jedes Objekt benötigt eine individuelle Lösung. Repositionierungsstrategien erfordern in ihrer Entwicklung und Umsetzung immer auch einen interdisziplinären Ansatz, um die Kompetenzen von Markt, Technik, Bau, Wirtschaftlichkeit und Finanzierung zusammenbringen zu können. Dann kann es im Rahmen der Wirtschaftlichkeit gelingen, eine nachhaltige Zukunft für Shoppingcenter zu gewährleiten und im besten Fall interessante neue Investmentprodukte zu schaffen. Vielleicht könnten sich Shoppingcenter auf diese Weise auch als Vorreiter des „New Retail“ behaupten – auch wenn das Thema „Shopping“ nicht mehr allein im Vordergrund steht.
Fotos: Witefield // Potsdamer Platz/Brookfield Properties
Dieser Artikel ist Teil des CHANGE Magazins 05