DIGITALES QUARTIER: FAST FORWARD IN DER QUARTIERSENTWICKLUNG

Wie wandeln sich Quartiersentwicklungen? Welche Trends treiben die Wohnwelt im Fast-Forward-Modus voran? Und welche sind in aller Munde und trotzdem überbewertet? Ein Gespräch mit Luca Bauernfeind, geschäftsführender Gesellschafter der KAURI CAB Development.

Herr Bauernfeind, halten Sie die Immobilienbranche in Sachen Digitalisierung für gut positioniert? Oder stehen wir eher hintenan?

Luca Bauernfeind: Ich rate zu mehr Augenmaß. Denn meiner Meinung nach wird die Digitalisierung im Wohnimmobiliensektor überbewertet. Beim Thema Verbrauchsdaten, Stichwort Smart Metering, stehen deutsche Anbieter sicherlich noch hintenan, gerade im internationalen Vergleich. Wir haben uns große Wohnimmobilien-Investments in den USA, z. B. von unserem damaligen Partner Blackstone, angesehen. Von deren Datenerhebung sind wir weit entfernt. Wichtig wäre für die Zukunft eine Datenaufbereitung in allen Bereichen: auf Mietenden-, Asset- und Portfolio-Ebene. Durch diese optimierte Datenlage beziehungsweise -transparenz hoffen wir zu verstehen, was die Mieter:innen bewegt – oder was planerisch optimiert werden könnte. Davon profitieren alle Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette, von der Produktentwicklung über das Asset Management bis hin zur Investorenseite. Wenn alle Beteiligten die entscheidungsrelevanten Informationen aus einer Datenquelle erhielten, wäre das ein Meilenstein. Deshalb investieren wir heute verstärkt in PropTechs. Versteht man unter Digitalisierung Smart-Home- Anwendungen, dann bin ich eher skeptisch. Es gibt zu viele Apps, unterschiedliche Wartungssysteme und Service-Kontakte. Das ist nicht benutzer:innenfreundlich. Digitalisierung um des Digitalisierens willen nützt niemandem. Folgerichtig setzen wir uns als Unternehmen stark mit dem Thema Lowtech auseinander. Was braucht man tatsächlich? Was ist leicht bedienbar? Was stiftet echten Mehrwert? Im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit stellt sich auch die Frage, ob wartungsintensive Technik verbaut werden sollte, wenn sie kaum benötigt wird.

Wichtig wäre für die Zukunft eine Datenaufbereitung in allen Bereichen: auf Mietenden-, Asset- und Portfolio-Ebene. Durch diese optimierte Datenlage beziehungsweise -transparenz hoffen wir zu verstehen, was die Mieter:innen bewegt – oder was planerisch vielleicht auch unnötig ist.

Luca Bauernfeind
Geschäftsführender Gesellschafter der KAURI CAB Development

Können Sie uns einen Einblick ins Unternehmen geben: Was ist derzeit Ihr spannendstes Projekt?

Bauernfeind: Bei einem unserer größten Wohnprojekte, dem Havelufer Quartier in Berlin-Spandau, werden 1.800 Einheiten entwickelt. Dabei legen wir einen besonderen Fokus auf die Außenanlagen, denn auch in der Berlin-City wollen die Bewohner:innen vom naturverbundenen Wohnen profitieren. Deshalb sieht unser Konzept eine 5-km-Joggingstrecke, Callanetics-Anlagen, Baumhäuser, Grillstellen, Kanu-Stationen und Spielplätze vor. Das Quartier wird auch außerhalb der Wohnung positiv aufgeladen. Zukünftig werden wir mehr über eine Community nachdenken müssen, die sich in besonderer Art und Weise um die Gemeinschaftsflächen kümmert. Im Spandauer Beispiel reden wir von einem Anteil von 3 bis 5 %, das heißt 3.000 bis 5.000 m² Community- Flächen, auf denen wir Trends nachspüren und Angebote u. a. für Sportler:innen, Gamer:innen, Tierliebhaber: innen, Köch:innen und Musiker:innen schaffen.

Community ist sicherlich einer der großen Trends im Quartiersbau. Welche Trends sehen Sie außerdem und was sind langfristige Auswirkungen – z. B. in Bezug auf Wohnformen?

Bauernfeind: Ich glaube, dass eine gewisse Dichte notwendig ist, um interessante Quartiere zu entwickeln. Ab einer bestimmten Größe müssen wir tatsächlich eine Stadt im Miniaturformat abbilden. Warum heißen unsere Lieblingsorte eher Venedig als Europaviertel Frankfurt? Öffentliche Flächen werden meist deutlich stärker frequentiert. Aber verstehen Sie mich richtig, es geht mir nicht um Verdichtung im städtebaulichen Sinn, sondern um das Gemeinschaftsgefühl. Der zweite große Trend ist die Individualisierung. Zukünftig werden wir uns fragen müssen: Was ist der Bedarf? Es greift zu kurz, nur von Alleinstehenden, Paaren, Familien und Senior:innen auszugehen. Die Frage lautet vielmehr: Was ist die Leidenschaft der neuen Quartiersbewohner:innen? Was sind Überzeugungen und Ideale? Im Havelufer Quartier beantworten wir die Frage mit: „Wir vermieten an Enthusiast:innen“. Das können Sportler:innen, Foodies, Gamer:innen oder Musizierende sein. Man kann an viele Themen anknüpfen. Um diesen neuen Weg zu beschreiten, haben wir uns mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zusammengesetzt und eine Umfrage unter 1.500 Teilnehmenden durchgeführt. Diese Ergebnisse haben wir in unser Konzept für das Havelufer Quartier einfließen lassen und so die umfassenden Gemeinschaftsflächen entwickelt. Der dritte Trend ist die Mobilitätswende. Ganz konkret das autonome Fahren, das vieles verändern wird – hinsichtlich der Lage, der Wohnungsgrößen und der Grundrisse. Es wird auch das Stadtbild wandeln – ich denke etwa daran, dass ein Großteil der innerstädtischen Parkplätze nicht mehr benötigt werden wird.

Worin bestehen die größten Herausforderungen, wenn Sie diesen Trends folgen?

Bauernfeind: Herausfordernd ist es zum Beispiel, einen größeren Projektanteil als Gemeinschaftsfläche zu deklarieren – bei der Bank, den Partnern oder Ausführenden. Dafür benötigt man ein starkes Business Development. Denn jede einzelne dieser Flächen muss individuell ausgestattet und später betrieben werden. Für die optimale Planung haben wir deshalb eine Performance-Marketing-Einheit aufgebaut, die besagte Enthusiast:innen identifizieren kann. Ob sich ein lebendiges Stadtquartier mit diesem Anspruch entwickelt, steht und fällt mit dem Mieter:innen-Mix – viel stärker als bei der herkömmlichen Herangehensweise. Um Menschen zusammenzubringen, wollen wir auch bestehende Quartiers-Apps weiterdenken. Die neue Community will und soll sich vernetzen, damit ein guter Kiez entsteht.

ESG

Zukünftig werden wir verstärkt über Dekarbonisierung im Quartiersbau nachdenken müssen. Nachhaltige Materialien und ressourcenschonendes Bauen allein reichen nicht. Der verbleibende CO2-Anteil eines Quartiers muss anderweitig ausgeglichen werden. Dazu können nachhaltige Projekte unterstützt werden. KAURI CAB hilft, einen Wald mit Fauna und Flora als Ökosystem zu erhalten. Außerdem denken wir über das S von ESG hinaus: Soziale Aspekte beziehen sich nicht nur auf die Schaffung einer neuen Community, sondern auf den Mehrwert für die Menschen, die im Umfeld leben. Den Governance-Aspekt lebt man im Vertragswesen: Bei unseren IntegratedProject-Delivery-Verträgen stehen alle Beteiligten von der Planung über das Architekturbüro bis zum Bauunternehmen für den anderen ein.

Und wo mussten Sie besonders mutig sein, um neue Ideen umzusetzen?

Bauernfeind: Ein Konzept, das sich an den Leidenschaften einzelner Bewohnendengruppen orientiert, führt zu einer deutlich individuelleren Bauweise als ein Standardkomplex für die breite Masse. Hier stellt sich im Besonderen die Frage nach der Zweitverwertung. Zugegeben, das Development ist zunächst kostenintensiver. Später zahlt es sich allerdings aus, weil es andere Zielgruppen mit einer anderen Zahlungsbereitschaft erschließt. Trotzdem ergab sich aus der traditionellen Herangehensweise in der Finanzierung und dem neuen Projektgedanken zunächst ein Mismatch.

Wie profitieren zukünftige Mieter:innen und Eigentümer:innen?

Bauernfeind: Durch das individuelle Konzept entsteht eine höhere Zufriedenheit bei Mieter:innen, die zwangsläufig mit weniger Fluktuation und einer höheren Zahlungsbereitschaft einhergeht. Das ist aber nicht der einzige Vorteil für den/die Eigentümer:in: Wer mehr Zeit im Quartier verbringt, wird dort tendenziell mehr Geld für Serviceleistungen ausgeben. Dadurch erhöht sich der Wallet Share.

Für welche Services werden Mieter:innen beispielsweise bereit sein, künftig zu bezahlen?

Bauernfeind: Die Zahlungsbereitschaft für ein smartes Quartier ist gering. Ich glaube, dass die Spanne zwischen herkömmlichem und smartem Wohnbau zunehmend geringer wird. Schon in einigen Jahren wird „smart“ der neue Standard sein. Aber Mieter:innen werden durchaus bereit sein, mehr für ein gutes Sozialkonzept zu zahlen. Wenn das Apartment mit Werkbank, Yoga-Raum oder Superküche meine Leidenschaft bedient, wird das den Ausschlag geben. Wir erwarten eine erhöhte Zahlungsbereitschaft, die nachhaltig um 10 % über einer Vergleichsmiete liegt.

Welche digitalen Themen halten Sie tatsächlich für nachhaltig oder auch notwendig? Und welche bleiben unterhaltsame Gadgets?

Bauernfeind: Als notwendig erachte ich ein intelligentes Heizungssystem. Lichtsteuerung übers Handy empfinde ich als Spielerei. Wer hier eine komfortable Lösung sucht, installiert einfach mehr Lichtschalter. Als Entwickler denken wir bislang bis zu der Schnittstelle, an der sich User:innen selbst einloggen. Der intelligente Kühlschrank und der smarte Toaster gehören definitiv nicht dazu.

Was brauchen wir unbedingt, was es in Deutschland noch gar nicht gibt?

Bauernfeind: Interessant finde ich ein Quartier in Manhattan, das mit seinen 11.000 Wohneinheiten viel stärker in Richtung Hotel gedacht wurde. Allein 250 Quartiersmanager: innen kümmern sich um alle Belange. Es gibt eine eigene Quartierszeitung und gemeinschaftliche Pools. In diesem Zusammenhang spreche ich nicht über eine Super-Luxusanlage. Die Bewohner:innen verstehen sich als starke Community, mit funktionierendem Sozialleben. Sie organisieren Events, die vom eigenen Fotografen dokumentiert und sogar in die Zeitung gebracht wurden. Wie eine lokale Berichterstattung in der Kleinstadt. Bemerkenswert! Wie sehen Sie Wohnen in der Zukunft? Bauernfeind: Ich erwarte, dass das Tempo der Urbanisierung über die sich ändernde Mobilität gedrosselt wird. Zusätzlich beobachte ich persönlich mit Sorge, welch großen, negativen Einfluss Augmented Reality auf das Miteinander hat. Wenn sich mehr Menschen in digitale Realitäten flüchten, wird das soziale Beisammensein abnehmen.

Zu guter Letzt: Für welches Wohnimmobilienthema würden Sie persönlich gerne eine digitale Lösung entwickeln? Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist.

Bauernfeind: In der Zukunft würde ich gerne auf Fondsebene eine Art Airbnb etablieren. Eine ähnliche Mietendenklientel, deren Einkommensverhältnisse hinterlegt sind, soll in einer Gemeinschaft Wohnungen tauschen können. Angenommen, wir verfügen über zwei Handvoll Entwicklungen über den Globus verteilt, dann könnten Bewohner: innen aus Manhattan ihr Apartment mit denen aus Spandau tauschen. Im Rahmen der bestehenden Vertragsverhältnisse könnte man beispielsweise über ein Punktesystem ein Budget für Urlaub in der fremden Wohnung ansparen. Eine Wohnung in Berlin bringt dann vielleicht einen Punkt pro Woche, die in New York zehn. Das ist noch keine bis ins letzte Detail durchdachte Idee, aber ein Gedanke, wie man Mehrwert schaffen kann.

Dieser Artikel ist Teil der Reihe City Report Wohnimmobilien

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Der Artikel basiert auf einem Interview vom 14.02.2022

Autorin: Michaela Stemper
Fotos/Visualisierungen: KAURI CAB

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